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Teil 2

Teil 3

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Am Saaleknick Einige Episoden über einen kleinen Jungen

aus Nienburg an der Saale

in der Nachkriegszeit

von Bernd Glasa 

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Fliegeralarm war an jenem Abend, Ende des Krieges als sich Hebamme Eckenstett aufmachte, ihren Koffer zu packen. Dieses Mal brauchte sie sich nicht lange der Gefahr, von Tieffliegern angegriffen zu werden, aussetzen. Ihr Weg führte sie nur ein paar Schritte über die Steinstraße. In einer Zeit, wo Not und Entbehrung auf der Tagesordnung standen,  hatte sich im Haus gegenüber Nachwuchs angemeldet. Wo man jeden Tag mit bösen Nachrichten rechnen musste, trat etwas Erfreuliches ein. Viel Arbeit hatte diese gutmütige alte Dame jedoch nicht, war doch schon nach zehn Minuten ein kleiner, strammer Junge auf dieser Welt. Sicher war es der Klaps, den dieser Junge nach der Geburt bekam, Anlass für ihn, sich bei seiner Hebamme später auf seine Art zu bedanken. Doch hätte es an jenem Abend noch zu einem großen Unglück kommen können. Bombenflieger, welche die Junkerwerke bei Dessau angegriffen hatten, warfen bei ihrem Rückflug zu ihren Stützpunkten Restbomben, die noch im Bombenschacht verblieben waren, auf den kleinen Ort Nienburg ab. Ein Hotel in der Ortsmitte wurde getroffen und man hatte Opfer zu beklagen. Viel mehr Glück hatte unser kleiner neuer Erdenbürger. Eine dieser Bomben fiel in den Hof des Nachbarhauses. Zum Glück handelte es sich um einen Blindgänger, der vor dem Schweinestall der Familie Wolkner einschlug. Am nächsten Tag konnte diese gefährliche  Bombe, ohne Schaden anzurichten, entschärft werden. Somit konnte ein großes Unheil abgewendet werden, welches die Steinstraße mit ihren Bewohnern hätte treffen können.

Bei der Taufe

In der Folgezeit hatte sich unser kleiner Erdenbürger aus Nienburg prächtig entwickelt und der Tag der Taufe war angebrochen. Bei der Taufe schien es jedoch, das ihn sein Glück für einen Augenblick verlassen hätte. Pfarrer Moch, ein Mann, der schon sehr viele Jahre seine Aufgaben zu voller Zufriedenheit der Nienburger Gemeinde erfüllt hatte, schien vor Schreck zu erstarren. Der kleine Bub entfiel einen Moment Mutters Händen und nahm ein unfreiwilliges Bad im Taufbecken der Schlosskirche zu Nienburg, wo diese Taufe stattfand. Dies war sehr zur Freude seiner Paten. Hatten diese durch dieses Erlebnis über Jahre hinaus wieder Gesprächsstoff bei Festen und Familienfeiern jeder Art. Der kleine Nienburger Junge wurde auf den Namen Hans getauft. Bei der kleinen Feier, die darauf folgte, tauchte jedoch die Frage auf, ob er nun mit Saale- oder Bodewasser getauft sei. Selbst die Nachfrage bei Pfarrer Moch konnte diese wichtige Frage nicht restlos klären. Diplomatisch und Weise erklärte dieser, es sei ein Gemisch aus beiden Flüssen gewesen. Erklärend muss dazu gesagt werden, dass der Geburtsort des kleinen Jungen, am Zusammenfluss der Bode mit der Saale liegt. Die Saale, genau an dieser Stelle einen Knick machend, - die Bode auffordert - den Rest des Weges zusammen fortzusetzen, damit man den Weg zum Meer findet. Da ein Teil des Ortes Nienburg somit an der Saale und ein Teil an der Bode liegt, war es schon wichtig zu wissen, mit welchem Wasser man getauft sei. Aber für Hans war dies noch nicht so wichtig. Da gab es andere Dinge in seinem Alter, die interessant für ihn waren. Doch schien dieses Bad im Taufbecken der Schlosskirche, in unserem kleinen Hans Nachwirkungen zu zeigen. Auf Hans übte Wasser seit dieser Taufe eine magische Kraft aus. Etwas mehr als viertausend Einwohner hatte nach dem Krieg in Nienburg ihr Zuhause. Mit ihren Stärken und Schwächen wie es sie in jeder anderen kleinen Stadt in Deutschland auch gab. Es waren in großen und ganzen sehr liebenswerte Menschen die in Nienburg wohnten. Hans war nach seiner Taufe in der Gemeinschaft der Nienburger Krähenköpfe aufgenommen.

Seine Eltern

Einige Wochen nach der Taufe war es zur bitteren Gewissheit geworden. Unser kleiner Bub muss ohne seinen Vater aufwachsen. Dieser durfte seinen Sohn nicht ein einziges Mal in seinen Arm nehmen und es ist ungewiss, ob er je von der Geburt seines Stammhalters erfahren hatte. Bei der Schlacht um Berlin, in den Wäldern bei Halbe hat er sinnlos sein Leben verloren. Drei Wochen, bevor in Deutschland die Waffen schwiegen. Selbst ein Grab in der Heimat war ihn verwehrt geblieben. Das Einzige, was Hans an seinen Vater erinnerte, war ein großes Bild. Es hing im Wohnzimmer seiner Mutter und zeigte einen Mann in einer Soldatenuniform. Später, als er begriff, was es hieß ohne Vater aufzuwachsen, sah er sich oft dieses Bild an und wünschte sich, von ganzem Herzen, sein Vater wäre bei ihm. Seine Mutter, von der Geburt sowie dem harten Schicksalsschlag mitgenommen, erkrankte schwer und war für den Rest ihres Lebens gezeichnet. Es war ein schweres Herz- und Lungenleiden. Zur Rettung ihres Lebens und zur Heilung ihrer Krankheit musste sie zur Kur in ein Erholungsheim. Dieses Heim befand sich im Harz in der Nähe des Brockens. Somit war sie von der Heimat und ihrem Sohn getrennt. Seine Großeltern, welche zwei Menschen waren, mit denen das Schicksal es auch nicht immer gut meinte, nahmen sich ihrem Enkel an. Der kleine Hans sollte nun bei seinen Großeltern in der Bodemühle aufwachsen. Aber nur so lange, bis seine Mutter ihre schwere Krankheit überstanden hatte. Seine Großeltern bekamen das Sorgerecht, was mit vielen Tränen schon bitter erkauft war. Doch unser kleiner Held bekam von diesem Unglück, welches seine Familie betroffen hatte, wenig mit. Er war ja erst wenige Wochen alt.

Der Schwimmunterricht

Die nächsten Jahre gingen dahin, ohne dass etwas Nennenswertes zu berichten wäre. War das Leben in einer Zeit nach einem Weltkrieg damit ausgefüllt, seinen Unterhalt für sich und seine Familie zu sichern. Eine Ziege im Stall brachte die nötige Milch, das Fleisch das Kaninchen und Hühner die benötigten Eier. Den Rest musste die Saale und Bode mit ihrem Fischreichtum beitragen, dessen Wasser zu dieser Zeit noch eine gute Qualität hatte und man die Fische daraus ohne Bedenken essen konnte. Die Krankheit seiner Mutter hatte sich zum Leidwesen aller Beteiligten noch immer nicht gebessert. Seine Großeltern lebten am Stadtrand von Nienburg in einer Mühle. Diese wurde mit dem Wasser der Bode angetrieben und da dieses Wasser mit ein paar Schritten zu erreichen war, hatten die Großeltern es nicht immer leicht, den kleinen Bengel vom Wasser fernzuhalten. Kam er doch in ein Alter, wo er seine Umwelt zu erkunden versuchte und es nur ein Augenblick der Unachtsamkeit bedurfte, um ein Unglück heraufzubeschwören. Er kam in ein Alter, wo er anfing, mit allerlei Scherzen und Späßen seine Umwelt zu erfreuen. Da Wasser seit seiner Taufe eine große Anziehungskraft ausübte, zog es ihn immer wieder zur Bode hin. So konnte an einem Tag, im schönen Monat Mai, nur das beherzte Eingreifen eines Anglers, welcher zur Rechten Zeit am rechten Ort war, ein Unheil abgewendet werden. Schon halb im Wasser, bekam dieser, den Bengel noch rechtzeitig am Fuß zu fassen und zog ihn ans sichere Land. Aus diesem Vorfall eine Lehre ziehend, beschlossen seine Großeltern, dass klein Hans an einem Schwimmunterricht teilzunehmen hatte. Der Weg zur Badeanstalt führte über die Saalebrücke zum Saaleknick , wo man seine ersten Schwimmübungen in einem von der Saale durchflossenem Holzkasten machen konnte. Davon waren zwei vorhanden. Einer dieser Kästen war den Schwimmern vorbehalten. In dem anderen machte man seine ersten Schwimmversuche unter Anleitung eines Schwimmmeisters. Zu dieser Anlage gehörten noch zwei Sprungbretter. Den Nienburgern Kindern machte es sehr viel Spaß von dort oben aus in das kühle Saalewasser zu springen. Doch musste man, besonders bei Hochwasser im Frühjahr und bei starken Regenfällen im Sommer, diese Badeanstalt aus Brettern in der etwa neun Kilometer flussabwärts liegender Stadt Calbe wieder einfangen. Hatte das Hochwasser nachgelassen, wurden diese Badeanstalt wieder an ihren rechtmäßigen Platz nach Nienburg geschleppt, verankert und der Badespass ging weiter. Doch nun zurück zu unserem kleinen Helden. Seine ersten Schwimmversuche brachten zum Staunen aller Anwesenden die Überraschung zu Tage, dass es da nicht allzu viel zu üben gab. Er konnte sich gut unter der Anleitung des Bademeisters über Wasser halten. Diese Fähigkeit sollte ihn in seiner Jugendzeit noch einmal das Leben retten. Weil sein Enkel sich bei der ersten Schwimmstunde so geschickt angestellt hatte, versprach sein Großvater ihn zu einer Vorstellung des Zirkus Busch mitzunehmen.

Im Zirkus

 Dieser Zirkus Busch hatte seine Zelte in der Kreisstadt Bernburg aufgeschlagen. Da es bis zur Kreisstadt fünf Kilometer oder zu Fuß etwas länger als eine Stunde war, beschloss sein Großvater, dass man diesen Weg mit einem Fahrrad zurücklegen müsse. Es war dies jedoch, so kurz nach dem Krieg, mit einer gewissen Gefahr verbunden. Nicht das es mit einem Verkehrsunfall in einen Zusammenhang zu bringen wäre. Es war die Angst, sein Fahrrad durch die russischen Soldaten, welche in Bernburg ihre Kaserne hatten, zu verlieren. Sie fragten nicht lange, sondern nahmen die Räder einem einfach weg. Es war dann sehr viel Glück im Spiel, wenn man sein Fahrrad wieder bekam. Oft stand es irgendwo in der Nähe ihrer Kaserne und man war froh, wenn es dort ohne größeren Schaden aufgefunden wurde. Um dieses Missgeschick vorzubeugen, musste es bei einer   Bekannten sicher aufbewahrt und nach der Vorstellung wieder abgeholt werden, was an diesem Abend auch geschah. Auf dem Platz, in der Altstadt von Bernburg, wo der Zirkus Busch seine Zelte aufgeschlagen hatte, herrschte ein buntes Treiben. Artisten versuchten mit allerlei Scherzen und Narreteien das Publikum zu einem Besuch des Zirkus Busch zu bewegen. Doch war es in der Zeit nach dem Krieg nicht leicht den Preis für eine Zirkuskarte aufzubringen. Brot und Lebensmittel waren schon teuer genug. Selbst seine Großeltern hatten sich das Eintrittsgeld vom Munde absparen müssen. So reichte das Geld für einen Besuch des Zirkus Busch nur für Hans und seinen Großvater. Seine Großmutter musste leider zu Hause bleiben. Es hatten sich aber soviel Zuschauer eingefunden, dass eine Vorstellung stattfinden konnte. Voller Erwartung betrat Hans das Zirkuszelt. Die Scheinwerfer und bunten Lichter machten so einen großen  Eindruck auf ihn, dass es ihm die Sprache verschlug. Nur durch gutes Zureden seines Großvaters, nahm Hans seinen Platz ein. Bis zum Beginn der Vorstellung hatte er die Geduld seines Großvaters schon auf eine harte Probe gestellt. Er war vor Aufregung bereits drei mal auf der Toilette. Am Anfang des Zirkusprogramms traten Pferde in ihren wunderschönen Geschirren auf. Danach folgte ein Auftritt dem anderen. Da es sich aber um Tiere handelte, blieb Hans nur der Mund vor Staunen offen. Als aber eine Gruppe von Jongleuren auftrat, war es mit der Ruhe von Hans vorbei. Ganz vor Aufregung rief er in das vor Spannung ganz leise Zirkuszelt: „Großvater, Großvater“. Als dieser es nicht hören wollte, rief er noch lauter: „Großvater, Großvater“, sind das richtige Menschen?. Da ging ein Lachen durch die Zuschauerreihen als gehöre dieser Spruch zur Artistennummer dazu. Selbst die Artisten, die schon viel erlebt hatten, konnten vor lauter Lachen erst nach einer Pause ihre Darbietung fortsetzen. Seinem Großvater war es aber nicht nach Lachen zumute, schauten doch alle Zuschauer auf Hans und ihn. Das gefiel dem guten Großvater aber gar nicht. Auf diesen Vorfall hin angesprochen, konnte oder wollte er sich noch nach Jahren nicht erinnern. Das war auch das letzte Mal, dass man Hans mit seinem Großvater in einem Zirkus gesehen hatte. Danach sagte er immer: „Da kriegen mich keine zehn Pferde mehr hin!“. Die Heimfahrt verlief in aller Stille. In Nienburg erst schien sein Großvater die Stimme und seine gute Laune wiedergefunden zu haben. Am nächsten Tag war dieser Vorfall vom Zirkus vergessen und Großvater war wieder der Allerbeste. Großvater war ein sehr lieber Mensch, nur etwas zu bescheiden und zurückhaltend in seinem Wesen. Er konnte, wie man so schön sagt, keiner Fliege etwas zu leide tun, erst recht nicht seinem Enkel.

Das Schulanfangsfest

Eine schöne Zeit, ohne Aufgaben und Verpflichtungen, sollten für Hans in diesem Jahr zu Ende gehen. Mit sechs Jahren  war die Zeit des Schulanfangs angebrochen. Am ersten Schultag bekam er die schönsten Sachen, die man nach dem Krieg besorgen konnte, angezogen Großmutter hatte aus einem alten Militärrock, nach vielen Stunden Arbeit an der Nähmaschine, einen Mantel gezaubert. Der Rest der Kleidung war schon getragene Sachen, anderer Kinder, die man eingetauscht oder abgekauft hatte. So war es nun einmal kurz nach Kriegsende, wo man froh war, überhaupt etwas zu bekommen. Es gab aber auch etwas Erfreuliches zu berichten. Nach etlichen Rücksprachen mit Ärzten und Professoren hatte man es seiner Mutter erlaubt, an dem für Hans bedeutsamen Ereignis teilzunehmen. Hans war das glücklichste Kind auf der Welt, als er das hörte.  Es war eine Riesenfreude, die im Mühlhaus einzog. Zum Anlass der Schulfeier sollten etliche Hühner ihr Leben lassen. War es doch schon Tradition an Festtagen und Feiern seinen Gästen ein Gericht aus diesen Tieren zu servieren. Doch diese Tiere hatten an jenem Tag etwas dagegen, dass man aus ihnen ein Festessen machen wollte. Beim Versuch die Tiere einzufangen, entflitzten sie ihrer Umzäunung, den Schergen und suchten ihr Heil in der Flucht. Es waren zwei Stunden harte Arbeit nötig, diese Tiere wieder einzufangen. Da aber auch unser Schulanfänger Hans etwas dagegen hatte, diese Tiere zu verspeisen, fiel zum ersten Mal dieses Festessen aus. Man war nun gezwungen, sich ein neues Festessen zu besorgen, es gab da nur eins. Es sollte Fisch sein. Fleisch kam ja nicht in Frage, da man die paar Gramm, die man auf der Lebensmittelkarte bekam, selber zum Überleben dringend brauchte und es für ein Festessen zu wenig war. Großvater musste somit eine Reuse in der Bode an einen sicheren Platz auf „Fang“ stellen. Es war natürlich verboten und mit einer hohen Strafe belegt, wenn nicht sogar mit dem Abtransport nach Sibirien. In dieser Notlage ging sein Großvater diese Gefahr ein. Einen Tag vor dem Fest traf seine Mutter in ihrem Heimatort Nienburg ein. Sie war im Harz der grünen Lunge Deutschlands, zur Heilung ihres schweren Herzens- und Lungenleidens zur Behandlung. Nienburg hatte sie somit schon über mehrere Jahre nicht besuchen können. Hans und seine Großeltern waren dort so oft wie es ging auf Besuch. Fast nicht wiederzuerkennen, so brachte man seine liebe Mutter mit einem Krankenwagen nach Hause. Heimlich hörte Hans seine Großeltern weinen. Doch nach außen traten sie gefasst und sicher auf, obwohl ihnen die Tränen bis zum Herzen standen. Dies war auch das letzte Mal, wo er seine Mutter sehen sollte. Diese Gewissheit hatten wohl schon seine Großeltern. Es sollte aber trotz allem ein schönes Fest werden, was es auch wurde. Einen Tag nach der Schulanfangsfeier holte man seine Mutter wieder ab. Die geschwächt, doch glücklich ihre Lieben in ihrer Heimat noch mal gesehen zu haben, in den Krankenwagen getragen wurde. Klein Hans stand dabei und spielte seiner lieben Mutter ihr Lieblingslied „Auf der Heide blühen die letzten Rosen“, auf der Mundharmonika vor. Er ahnte nicht, dass dies das Abschiedslied für sie war. Ein halbes Jahr nach seinem Schulanfang brachte man seine Mutter für immer nach Nienburg zurück. Sie fand ihre letzte Ruhestätte unter sehr großer Anteilnahme der Nienburger Einwohner auf dem Friedhof  ihrer Heimatstadt. Hans hatte somit beide Elternteile schon in seiner Kinderzeit verloren. Es war eine sehr traurige Zeit die darauf folgte. Nur seine Großeltern konnten Hans den nötigen Trost spenden, obwohl sie in dieser schweren Zeit sicher auch sehr litten.

In der Schule

Nun da der Schulalltag angebrochen war, hatte Hans nicht mehr so viel Freizeit, was ihm sehr schwer fiel. Herumtoben machte doch viel mehr Spaß, als in der Schule zu lernen. Im Ort Nienburg gab es zwei Schulen, die nach der Farbe ihrer Ziegel benannt waren, welche beim Bau der Schulen verwendet wurden. Demnach gab es eine Rote und eine Gelbe Schule. Da es davon abhing, in welchem Bereich des Ortes man wohnte, wurde Hans der Roten Schule zugewiesen. Er wohnte im Bereich der Bode. Als Hans zum ersten Mal sein Klassenzimmer betrat, machten ihn die vielen Stühle und Bänke, die dort in Reih und Glied standen richtig Angst. Der Bengel war doch ein richtiger Zappelphilipp, dem Ruhigsitzen sehr schwer fiel. Als aber die Lehrerin, Frau Moll, den Raum betrat fand unser kleiner Hans gleich etwas mehr Vertrauen zur Schule. Die Lehrerin war eine Frau aus seiner Nachbarschaft, die auch am Ortseingang von Nienburg wohnte. Diese Lehrerin hatte Hans beim Spielen schon oft gesehen. Das es aber seine Lehrerin werden sollte, brachte Hans zum Staunen. Der Altersunterschied der Mitschüler seiner Klasse war gewaltig. Es gab Schüler bis zu drei Jahre älter als Hans. Dies waren Kinder von Flüchtlingseltern, die nach den Wirren des Krieges und der Vertreibung aus ihrer Heimat noch an keinem Unterricht teilnehmen konnten. Es waren aber auch Schüler darunter, die als sogenannte Sitzenbleiber den Unterricht in der ersten Klasse wiederholen mussten. Die Klassenlehrerin Frau Moll versuchte nun dieser Rasselbande etwas beizubringen, was aber nur mit viel Geduld und noch mal Geduld gelang. Dann trat Mitte des ersten Schuljahres eine Veränderung ein. Es war gerade in einer Zeit, wo sich Hans und die anderen Schulkinder an ihre Lehrerin gewöhnt hatten und Vertrauen zu ihr bekamen. Ihr liebes Wesen brachte auch die größten Rabauken dahin, dem Unterricht zu folgen und nicht nur zu stören. Sie machte einen Schritt, den die Kinder und vor allem unser Hans zu dieser Zeit noch nicht verstand. Sie ging in den Westen wie man zur damaligen Zeit so sagte. Es war eine Katastrophe was danach an der Roten Schule geschah. Das Klassenzimmer wurde versiegelt und man brachte ein Gerücht in Umlauf, dass sie etwas Unrechtes und Böses getan hätte. Es war aber nur ein Gerücht, an dem nichts dran war. Damit wollte man diesen Schritt in den Westen zu gehen, rechtfertigen. Nach einigen Tagen Unterrichtspause wurde der Unterricht an der Roten Schule fortgesetzt. Es war ein sogenannter Junglehrer, den man einsetzte. Diesen Junglehrer hatte man in nur ein paar Wochen zum Lehrer ausgebildet. Der neue Lehrer, der in seinem vorherigen Beruf ein Schlosser war, übernahm nun das Kommando über diese Rasselbande. Dieser Junglehrer brachte als erstes Hans seiner Klasse das „Seid bereit“ bei, was von nun an jeden Tag vor dem Unterricht ausgeführt werden musste. Ein Schüler meldete den Lehrer, dass die Klasse zum Unterricht bereit sei. Dabei musste dieser Schüler eine Hand am Scheitel seines Kopfes halten. Hans und die anderen Schüler sollten nach den Gesetzen der neuen Regierung erzogen werden. Dieser Lehrer sprach nun von Sozialismus, Kapitalismus und weiteren solchen unverständlichen Dingen. Es war ein Lehrer der neuen Zeit, der an die Stelle ihrer lieben Lehrerin getreten war. Dies warf die Schulbereitschaft von Hans und seinen Mitschülern stark zurück.

Der Stapellauf

Vier Wochen nach diesem Ereignis geschah etwas, was den kleinen Ort Nienburg schier aus dem Häuschen brachte. Man sprach überall darüber und freute sich riesig darauf. Auch in der Roten Schule gab es nur noch ein Thema: Es war dies der Stapellauf eines Saalekahnes auf einer der zwei Werften, die Nienburg hatte. Die fleißigen Schiffbauer von Nienburg hatten nach Monaten harter Arbeit, es geschafft, einen Saalekahn zu bauen. Da sich bei diesem Schauspiel, was einem dort geboten wurde, halb Nienburg einfand, war es einfach eine Pflicht dabei zu sein. Am frühen Morgen des Stapellaufes zogen die Schiffseigentümer mit Nachbildungen ihrer Boote durch den Ort. Allem voran eine Kapelle, die zwar öfter falsch aber dafür recht laut spielte und für die nötige Stimmung sorgte. Da bei diesem Anlass auch recht viel Alkohol floss, war eine tolle Stimmung auf den Straßen. Mit lautem Singen und viel Musik, schloss sich immer mehr Menschen dem Weg zur Werft an. Willi, ein Nienburger Original, machte seine Späße, was zu Lachsalven der fröhlichen Leute führte. Willi musste immer als erster den Festzug zur Werft anführen. Es gab kein Umzug oder Fest, wo Willi nicht dabei war. Er gehörte dazu, wie das Wasser der Bode und Saale zu Nienburg. An der Bode angekommen, versuchte man gegenüber der Werft auf einem erhöhten Platz den Stapellauf zu verfolgen. Wie wichtig diese Erhöhung noch werden sollte, werden wir im Verlauf dieses Stapellaufes noch sehen. Punkt fünfzehn Uhr begann der Werftmeister mit dem ersten Schlag an den Holzkeilen, die dem Saalekahn bis dahin den Weg zum Wasser versperrten, zu schlagen. Die Gleitschienen waren mit Schmierseife eingestrichen. Somit konnte der Saalekahn schneller und problemloser das Wasser erreichen. Die Spannung der Leute wuchs von Minute zu Minute und wurde am Ende fast unerträglich. Als ein Signalhorn erklang, was besagte, das der Stapellauf kurz bevor stand, freuten sich alle Anwesenden. Endlich setzte sich dieser Riese von fast achtundfünfzig Metern ganz langsam in Bewegung, um am Ende mit seiner vollen Breite in seinem Element, dem Wasser, einzutauchen. Was nun geschah, muss man selbst erlebt haben, um sich darüber ein Bild zu machen. Die Bode, an dieser Stelle zwanzig Meter breit, trat am gegenüberliegenden Ufer aus ihrem Bett und wer in der Nähe des Ufers stand, musste rennen, um nicht ein unfreiwilliges Bad zu nehmen. Hatte man den Hang von Hinnemitz mit seinen Wiesen erreicht, war man gerettet. Es traf immer ein paar Leute, entweder waren sie zu neugierig, oder stammten nicht aus Nienburg, die zur Freude aller Zuschauer pudelnass wurden. Getauft mit Bodewasser und dann auf Saalewasser zu fahren, war von nun an Schicksal dieses Kahns. Getauft wurde dieser Kahn nach dem Schutzpatron der Stadt Nienburg. Danach ging es in den Schifferkneipen der Stadt hoch her, so dass etliche Frauen ihre Männer mit dem Handwagen nach Hause fahren mussten. Das danach der Hausfriede bei einigen Familien gestört war, kann man nur erahnen. Zum Glück fand dieses Schauspiel eines Stapellaufes nicht all zu oft statt. Es gab aber noch genug andere Ereignisse, die man in Nienburg feiern konnte.

Das Ringreiten

Dazu gehörte das Ringreiten auf der Feuerwehrwiese, welches immer zu Pfingsten ausgetragen wurde. Es war ein Geschicklichkeitsspiel, das mit Pferd und Reitern stattfand. Beinahe wäre Hans von diesem Ereignis ausgeschlossen worden. Dieser Bengel hatte den Nachbarn seiner Großeltern einen Streich gespielt. Da er bei einer Klingelpartie gefasst wurde, und die Nachbarn es seinen Großeltern erzählten, bzw. sich beschwerten, sollte er an diesem Ringreiten nicht teilnehmen. Doch da hatte man die Rechnung ohne Hans gemacht. Hans las ab sofort seinen Großeltern jeden Wunsch von den Augen ab. Er tat so, als ob er keinem das Wasser trüben konnte. So gaben sie den vielen Bitten nach und erlaubten ihm, zu dem Ringreiten auf die Feuerwehrwiese zu gehen. Auf dem Festplatz hatte sich inzwischen etwas getan. Es arbeitete jeder der vielen Helfer was das Zeug hergab. Der Platz sollte doch der schönste Platz aller Zeiten werden. Es wurden viele grüne Zweige aus dem nahen Wald herangeschafft, vor allem Birkengrün wurde gebraucht. Selbst die Kameraden der Feuerwehr beteiligten sich fleißig daran den Festplatz mit herzurichten. Das Gestell, welches die Ringe hielt, bestand aus zwei Holzmasten. Diese standen sich in einem Abstand von vier Metern gegenüber. Daran wurde eine Querlatte befestigt, woran die Ringe hingen. Sollte, was oft geschah, der Reiter diese Ringe verfehlen und die Latte treffen, so fiel diese Querlatte zu seiner Sicherheit herunter. Da man zum Anreiten rechts und links der Strecke eine Absperrung brauchte, kann man sich vorstellen, was für Arbeit nötig war, um dieses Ringreiten durchzuführen. Am Tag des Ringreitens konnte man ab zwölf Uhr Mittag unseren Hans nur noch mit gutem Zureden davon abhalten, dass er zur Feuerwehrwiese ging. Da seinen Großeltern dieser Weg zur Feuerwehrwiese zu beschwerlich war, musste Hans diesen Weg, zu seinem Bedauern, alleine gehen. Endlich war es soweit. Hans konnte gehen, jedoch mit erhobenem Zeigefinger ermahnte man ihn, keinen Unsinn zu machen. Am Festplatz angekommen, waren dort die ersten Reiter mit ihren Pferde schon eingetroffen. Es waren dies die rassigsten Pferde der reichsten Bauern sowie die Arbeitstiere der weniger Wohlhabenden. Diese Bauern konnten sich keine Tiere nur zum Vergnügen halten. Aber alle hatten ihre Tiere prächtig herausgeputzt. Wenn es auch manchem schwergefallen war. Hans, der zur rechten Zeit auf dem Festplatz war, versuchte auf den riesigen Bäumen, die am Wegrand lagen, einen Platz zu finden. Diese Bäume gehörten zur Schiffswerft, die sich der Feuerwehrwiese anschloss. Man hatte von den Baumstämmen einen wunderschönen Blick über das Geschehen. Da alle Pferde und ihre Besitzer anwesend waren, konnte man mit dem Verlosen der Reihenfolge beginnen. Man legte zehn Durchritte der Pferde fest. Sollten danach mehrere Teilnehmer die gleiche Ringzahl haben, müsse es zum Stechen kommen. Dies geschah an diesem Tag aber nicht. Der Wettstreit begann mit einem Reiter, dessen Pferd durch die vielen Zuschauer unruhig wurde. Er hatte damit zu tun, sein Tier unter Kontrolle zu halten. So war er nicht in der Lage, nach dem Ring zu greifen. Der Nächste machte es besser und hatte einen Ring als Lohn in seinen Händen, was mit viel Beifall honoriert wurde. Da nun der reichste Bauer mit seinem Reitpferd an der Reihe war, ging ein Raunen durch alle Anwesenden. Es war das beste Pferd aller Ringreiter und prächtig anzuschauen. Aber so schnell wie dieses Tier über den Platz lief, hatte auch dieser Reiter keine Chance, je an einen Ring zu kommen. Als der nächste Ringreiter aufgerufen wurde, räumte man diesem Reiter keine Chance ein. Sein Tier war gezwungen, den ganzen Tag schwere Bierfässer von der Brauerei zu den Kneipen der Region zu fahren. Dieses Tier hatte nun keine Eile und trabte mit langsamen Schritt, so dass der Reiter hätte einschlafen können, durch dieses Tor, wo der Ring angebracht war. Beim ersten Durchritt blieb man noch ruhig. Man glaubte noch nicht an einen Sieg. Dies änderte sich aber, als sich jedes mal dieser Reiter einen Ring holte und mit zehn Ringen das Turnier gewann. Als die Anhänger des reichsten Bauern ihren Reiter nicht als Sieger sahen, fingen sie eine Rauferei an, so dass dieser Tag mit etlichen blauen Augen endete. Sie waren ja um ihre sicher geglaubten Freibiere gekommen. Man freute sich trotz allem schon auf das nächste Ringreiten. Die blauen Augen wurden als ein gelungenes Fest betrachtet. Im nächsten Jahr wollte man aber den Sieg und somit das Freibier bekommen. Hans Großeltern waren froh, dass ihr Enkel sich aus dieser Rauferei rausgehalten hatte. Er war ja sonst bei allem dabei. Im nächsten Jahr wollte man ihn nicht mehr allein zum Ringreiten gehen lassen. Wenn es ihnen auch schwer fallen sollte, sie wollten Hans dorthin begleiten.

Die Bodemühle

Nach diesem Tag hatte Regenwetter eingesetzt und es war schon eine Strafe, wenn man seinen Weg zur Schule gehen musste. Aber noch viel mehr Angst hatte man vor einem Hochwasser, was meist darauf folgte. Hans in seinem jugendlichen Leichtsinn aber freute sich. Brachte doch dieses Hochwasser die Bode zum Überlaufen. Und somit Fische in die Restlöcher die sich zwischen der Bode und den Mühlgraben befanden. Auch die Betreiber der Bodemühle machten sich große Sorgen und begannen mit Vorbereitungen, um Unheil von der Bodemühle abzuwenden. Damit wir uns einen Einblick über die Funktion des Wassers bei der Betreibung der Bodemühle machen können, muss erst einmal diese Anlage beschrieben werden. Die Bode wurde durch ein Wehr, dass einen Kilometer von der Bodemühle entfernt seinen Standort hatte, gezwungen, das Wasser in den Mühlgraben zu leiten. Das Wehr sowie zwei Schutze, welche bei Hochwasser geöffnet werden konnten, waren zur Sicherheit der Bodemühle da. Einer dieser sogenannten Schutze befand sich direkt an der Mühle und diente dazu, überschüssiges Mühlgrabenwasser der Bode zurückzuführen. Der zweite Schutz schützte die Mühle vor Hochwasser und befand sich etwa auf halber Länge zwischen Wehr und Bodemühle. Auch mit dieser Anlage konnte man den Wasserstand regulieren. Es musste ja immer ein gleichbleibender Wasserstand an der Turbine sein, damit diese optimal laufen konnte. Diese Turbine, welche das Mühlgrabenwasser nutzte, erzeugte den benötigten Strom, um die Mühle betreiben zu können. Da dieses Bauwerk sehr hochwassergefährdet war, kann man sich die Sorgen der Betreiber vorstellen. Sie taten alles, um ein Unheil von der Bodemühle abzuwenden. Die Bauern des Ortes nutzten die Flächen zwischen Bode und Mühlgraben zum Viehauftrieb und machten sich daran, die Tiere aus dem vom Hochwasser bedrohtem Bereich zu treiben. Es waren sehr fruchtbare Wiesen die dort angelegt und als Weide bestens geeignet waren. Dabei kam es zu einem Vorfall, der Hans sehr betroffen machte, weil er so tragisch endete. Ein Bauer, der mit seinem Wagen an der Rettung der bedrohten Tiere beteiligt war, geriet selbst in Lebensgefahr. Durch den aufgeweichten Weg, oder zu schnelles Fahren kam sein Pferdewagen mit samt den Tieren vom Weg ab und stürzte in den Mühlgraben. Der Mühlgraben war dort fünfzehn Meter breit, das Ufer sehr steil, und zu allem Unglück waren die armen Tiere noch am Wagen befestigt, und somit alle in höchster Lebensgefahr. Es war nicht mehr möglich, dass sie sich allein aus dieser lebensbedrohlichen Lage befreien konnten. Der Kutscher, der sich retten konnte, lief zur Sirene und löste Alarm aus. Da Nienburg eine sehr gute Feuerwehr hatte, war  diese nach wenigen Minuten an der Unglückstelle. Man versuchte nun diese Tiere unter Lebensgefahr, von der Last des Pferdewagens zu befreien. Die Leute von der Bodemühle hatten nun eine Sorge mehr. Es galt nun als erstes das Leben der Tiere zu retten. Man wollte den Mühlgraben leer laufen lassen, was in dieser kurzen Zeit und in Folge des nahen Hochwassers nicht gelingen konnte. Doch man versuchte es. Es sind aber viele komplizierte Arbeiten an dem Wehr und Schutzen nötig, um dies zu bewerkstelligen. Den mutigen Männern der Nienburger Feuerwehr gelang es, ein Tier zu befreien. Es war befreit, aber noch nicht gerettet. Es machte einen erschöpften Eindruck, war aber noch nicht am Ende seiner Kraft. Mit Unterstützung der Helden der Nienburger Feuerwehr gelang es, dieses Tier im Uferbereich festzuhalten. Man baute schnell ein paar Stufen ein und das arme Tier war gerettet. Das andere Tier war aber, zur Trauer aller, die an der Rettung teilnahmen, seinen schweren Verletzungen erlegen. Hans kam erst gar nicht darüber hinweg, so betroffen machte ihn dieses Ereignis. Zum Gedenken des toten Tieres brachte er eine Tafel an einer Pappel in der Nähe der Unglückstelle an. Als ob ein Unglück genug wäre, stellte sich dieses Jahr zur Freude aller kein großes Hochwasser ein. Es war jedoch ein hoher Preis dafür bezahlt worden. Den Bauern fiel ein Stein vom Herzen, hatte man ohne Hochwasser viel Geld und Zeit eingespart.  Die Bodemühle konnte auch ihre Arbeit fortsetzen. War man sonst bei Hochwasser gezwungen, das Mahlen von Getreide einzustellen. Es gab nur einen Nachteil. Der Nachschub an Fischen, den sonst das Hochwasser in die Restlöcher brachte, war ausgeblieben. Darauf konnten Bauern, sowie die Betreiber der Bodemühle aber gern verzichten.

An den Restlöchern

Hans hielt sich oft an den Restlöchern auf und wünschte sich so sehr eine Angel. Diese konnte er leider nicht erhalten, da die finanzielle Lage seiner Großeltern es nicht erlaubte. Er hatte trotzdem probiert zu angeln. Mit einer Angel aus einer Haselnussrute, mit einer gebogenen Stecknadel als Haken sowie Sternzwirn als Schnur hatte er schon seine ersten Plötzen gefangen. Was aber an einem Sommertag geschah, konnte Hans kaum verstehen. Als eine Einheit der Russischen Armee, die an der zweiten Bodebrücke eine Übung abhielt, mitbekam, dass in den Restlöchern Fische waren, schickten ihre Offiziere zwei Pioniere mit Sprengstoff zum Wasser. Mit einigen Sprengungen war der gesamte Fischbestand der Restlöcher vernichtet. Lustig war aber, dass zwei Soldaten die Fische aus dem durch die Sprengung noch reichlich verschlammten Wasser, in voller Uniform aufsammelten. Das traurige Ende dieser Fische im Kochtopf der Besatzungsmacht zerstörte alle Hoffnungen, in diesem Jahr einen Fisch zu fangen. Dies war sehr zum Bedauern der Kinder, die in die Restlöcher angelten. Ob die Beschwerde beim Kommandanten in Bernburg über diese Tat etwas gebracht hatte, ist unbekannt. Es gab noch einen großen Anglerteich in unmittelbarer Nähe der Brücke, welchen die Angler aus Nienburg gepachtet hatten. Um den Fischbestand in diesem Anglerteich zu schützen, mussten die Angler eine Wache aufstellen. So blieben ihr Fische vom Schicksal denen der Restlöcher verschont.Diese Restlöcher waren im Winter ein Paradies für Schlittschuhfahrer. Hans durfte auch auf dem Eis der Restlöcher spielen. Da die Gefahr des Einbrechens, verbunden mit der Angst des Ertrinkens durch die geringe Tiefe des Wassers unter dem Eis, nicht zu befürchten war. Er spielte dort Eishockey und tobte auf dem Eis herum. Es fanden sich immer genug Spielgefährten ein, so dass dort immer etwas los war. Nach der Schule konnte Hans es kaum erwarten, dorthin zu gehen. Seine Großeltern mussten schon etwas Druck ausüben, damit er wenigstens seine Hausaufgaben machte. An einem Wintertag kam Hans, der sonst immer fröhlich die Treppe raufrannte, sehr leise nach Hause. Er schlich sich heimlich die Treppe zur Wohnung rauf. Das etwas nicht in Ordnung sein konnte, fiel gleich auf. Seine Großmutter fragte ihn, was denn vorgefallen sei. Nach mehrmaligen Nachfragen kam es ans Licht. Hans hatte seine einzigen Winterschuhe kaputt gemacht. Er hatte seine Schuhabsätze abgerissen. Seine Großmutter fiel fast in Ohnmacht, als sie davon erfuhr. Waren doch in dieser Zeit ein paar Schuhe ein Vermögen wert und schwer zu bekommen. Als sich der erste Ärger und Zorn darüber gelegt hatte, musste Hans mit der Wahrheit rausrücken. Kleinlaut berichtete er wie es dazu kam. Da Hans auf dem Eis auch mal Schlittschuh fahren wollte, hatte er sich von seinem Spielkameraden Peter die Schlittschuhe ausgeliehen. Es waren sogenannte Hacken-abreisser, diese Schlittschuhe. Da diese mit einer schraubzwingenartigen Vorrichtung versehen waren, und Hans diese zu fest angezogen hatte, rissen ihm diese seine Schuhabsätze ab. Eine Woche Stubenarrest wurde beschlossen und festgelegt. Doch nach drei Tagen war Hans wieder auf dem Eis, jedoch mit dem Versprechen, nicht wieder Schlittschuh zu fahren. Vor allen Dingen sollte er sich keine Hacken-abreisser mehr ausleihen.

Brand im Mühlenhaus

In der Weihnachtswoche, als gerade die Vorbereitungen zum Fest und zum Geburtstag von Hans liefen, brach in der Bodemühle ein Feuer aus. Das Mühlgebäude, worin sich die Turbine befand, brannte bis zu den Grundmauern nieder. Die Wohnung seiner Großeltern, sein Kinderzimmer wurden durch Löschwasser so schwer in Mitleidenschaft gezogen, dass man schweren Herzens die Wohnung in der Mühle verließ. Man zog wieder in das Geburtshaus von Hans in der Steinstraße ein. Auch nach dem Tod seiner lieben Mutter hatte man zwei Zimmer nicht aufgegeben, da dies mit sehr viel Schmerz verbunden gewesen wäre. Der Rest der Zimmer im Haus war mit Flüchtlingen aus Ostpreußen und Schlesien belegt. Hans musste eine Zeitlang mit im Schlafzimmer seiner Großeltern schlafen. Auch sonst ging es sehr beengt in der Steinstraße zu. Dieser Zustand änderte sich aber im Laufe des Jahres zu ihren Gunsten. Da diese Aussiedler den Weg über die grüne Grenze nach Westdeutschland in die Freiheit nahmen und ihre Zimmer wieder verfügbar wurden, war die Wohnungsnot vorbei. Es war nun für Hans nicht mehr so leicht an sein geliebtes Wasser, die Bode, zu gelangen. Er war die erste Zeit sehr traurig darüber, und vermisste das Wasser vor seiner Haustür sehr. Weil nun sein Zuhause in dem Bereich der Saale lag, brauchte Hans einige Minuten, um Kähne und Dampfer zu beobachten, die ihre Last auf der Saale aufwärts und abwärts brachten . Doch tauschte er die Einsamkeit in der Bodemühle mit der freundlichen Nachbarschaft der Steinstraße ein.

Die Hauptpost

Beim Aufräumen der Sachen, die im Haus in der Steinstraße keine Verwendung fanden, entdeckte er in der Rumpelkammer auf dem Hausboden, das Angelgerät seines Onkels. Sein Onkel Emil war in einem Lager der Nazis zu Tode gekommen. Warum und weshalb konnte aber keiner sagen. Onkel Emil, ein Angler aus Leidenschaft, hatte all seine Angelsachen bei Kriegsbeginn fein säuberlich auf den Hausboden geschafft. Was kamen da für Schätze zum Vorschein: Bambusruten, Blinker aus Perlmutt, zwei Angelrollen und als Krönung eine gesplißte Angel, die zu jener Zeit das Beste war.  Hans, dem diese Sachen nun gehören sollten, war der glücklichste, kleine Junge auf dieser Welt. Seine Großeltern machten aber zur Bedingung, dass er seine Leistungen in der Schule verbessern müsse, bevor er diese Angelsachen bekommen könne. Mit der Schule und dem Lernen nahm es Hans nicht so genau, rumtollen auf der Strasse war viel besser. In der Schule versuchte er nun die Leistungen zu erbringen, die man von ihm erwartete. Es dauerte aber nicht lange und es kam zu einem Vorfall, der Hans viel Ärger einbringen sollte. Gegenüber der Roten Schule befand sich die Nienburger Hauptpost. Den großen Briefkasten, der die Briefe zum Innern der Post rutschen lies, hatte Hans mit Schnee gefüllt. Da dieser Schnee im Innern der Post taute, kann man sich vorstellen, was das Wasser dort unter den Briefen angerichtet hatte. Als alles raus kam, erhielt Hans zum ersten Mal in seinem Leben eine „Tracht Prügel“ vom Großvater. So ärgerlich und wütend hatte Hans seinen Großvater bis dahin  nicht erlebt. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass Hans über die Stränge schlug. Doch eine solche“ Tracht Prügel“ bekam Hans nie wieder. Nach einer kurzen Zeit war auch über dieses Ereignis Gras gewachsen. Seine Großeltern konnten ihm einfach nicht böse sein.

Hühnerstreich

Zur Aufgabe von Hans gehörte es, die Hühner im Hof zu füttern. Es waren noch Tiere dabei, die Hans vor dem Kochtopf gerettet hatte, und hier in der Steinstraße ein neues Zuhause gefunden hatten. Da diese Tiere in der Bodemühle immer reichlich zu fressen hatten, war es in der Steinstraße nicht so einfach, diese Tiere satt zu bekommen. Es wurde alles verfüttert, was sich dazu eignete. Es war üblich, dass man nach dem Krieg seinen Wein selbst herstellte. Dazu nahm man Stachelbeeren, Hagebutten oder auch anderes Obst, es wurde zerkleinert, man gab Zucker, Wasser und etwas Hefe dazu. Dieses Gemisch musste dann in einem Ballon gären. Dann siebte man mit einem Tuch diese Früchte ab. Hans, der diese Früchte wegwerfen sollte, gab sie den Hühnern zu fressen. Was danach mit den Hühnern geschah, musste man gesehen haben, um mitreden zu können. Die Hühner konnten sich nicht mehr richtig auf ihren Beinen halten, verdrehten die Köpfe und legten sich auf den Rücken, torkelten über den Hof und schliefen schließlich ein. Da Hans nicht wusste was geschehen war, rief er nach seinem Großvater. Dieser erklärte ihm unter herzhaftem Lachen, dass diese betrunken seien. Die Früchte waren durch die Gärung voller Alkohol. Den Hühnern hatte dieser Schwips aber nicht geschadet. Sie liefen am nächsten Tag als wäre nichts geschehen über den Hof.

Auf der Saalebrücke

So langsam wie das Schuljahr verging, um so schneller wuchsen die Schornsteine des Zementwerkes, das im Entstehen war. Hans hatte eine wunderbare Sicht und verfolgte den Fortgang. Man erkannte den daran, dass nach etwa fünf Metern ein Ring um den neu entstehenden Schornstein angebracht wurde, jeden Tag. Dieses Werk sollte den Namen „ Aufbau“ erhalten. In Nienburg warteten die Einwohner schon, dass diese Zementbude, wie man so sagte, seinen Betrieb aufnahm. Man bekam dadurch Arbeit im Ort und brauchte nicht mehr in die umliegenden Orte zu fahren, um sein Einkommen zu verdienen. Am schönsten aber für Hans war die Tatsache, dass nun endlich die Ferien begannen. Konnte er doch nun schon am Vormittag zur Saale gehen, um den Dampfern und Schiffen bei ihrer Fahrt über das Saalewasser zuzuschauen. Da man von der Saalebrücke einen besonders schönen Ausblick hatte, waren diese Plätze immer als erstes belegt. Es müsste nicht Hans gewesen sein, wenn es dabei nicht zu einem Vorfall gekommen wäre. Da man diese Schiffe und Boote die unter die Saalebrücke fuhren, genau unter sich hatte, machten die Kinder sich einen Spaß daraus und warfen mit kleinen Steinen danach. Auch spuckte man den Saaleschiffern auf den Kopf.  Hans war aber dies nicht genug. Er füllte einen alten Topf mit Wasser und versuchte den Bootsmann, der unter der Brücke hindurch fuhr, das Wasser auf den Kopf zu schütten, was ihm auch gelang Flüche und Drohungen von dem armen Bootsmann machten ihm nicht aus, konnte doch dieser sein Boot nicht verlassen. Aber diesmal hatte er sich verrechnet. Ein Verwandter des Bootsmannes war unter den Schaulustigen und nur durch eine schnelle Flucht konnte Hans sich retten. Danach war Hans nicht mehr zu solchen Späßen zu bewegen. Er hatte erfahren, dass diese Art von Spaß böse für ihn hätte enden können. Aber das nächste Unheil nahm schon seinen Lauf.

Im Kino

Da es in Nienburg ein Kino gab und dies am Wochenende Kinderfilme spielte, war es für Hans eine Pflicht dieses  Kino zu besuchen. Als Eintritt verlangte man dort fünfundzwanzig Pfennig. Da das Nienburger Kino oft bis zum letzten Platz besetzt war, wurden viele Kinder wieder nach Hause geschickt, die sich nicht rechtzeitig eine Karte kaufen konnten. Dies war mit viel Tränen der enttäuschten Kinder verbunden, die keine Karte kaufen konnten. Hans, der sich lieber eine Stunde vor Öffnung des Kinos anstellte, konnte so etwas nicht passieren. Doch hatte es auch einen Haken, wie man so schön sagte. Oft kam der Film, der gespielt werden sollte, am Bahnhof nicht an. Dort war jene Stelle, wo man den Film abholte. Die Platzanweiserin Frau Pfeffer stellte sich dann vor die Kinder und erklärte, dass man aus technischen Gründen den angesagten Film nicht spielen könne, dafür aber den wunderschönen Film „Das Zauberkorn“ spielte. Das Zauberkorn war ein schwarzweiß Film aus Russland, den das Nienburger Kino in seinem Bestand hatte und bei solchen Anlässen spielte. Dieser Film hatte zum Inhalt: Zwei Kinder befreien mit Hilfe des Zauberkorns und einer Zauberflöte die Welt von einem schlimmen Ungeheuer und verbreiten durch aussähen des Korns Zufriedenheit und Glück überall. Es kam oft vor, das ein angekündigter Film nicht eintraf, und man dafür „Das Zauberkorn“ spielte.Hans sah deshalb diesen Film schon zum wiederholten Male. Die Einlassfrau, Frau Pfeffer, hatte noch eine andere Aufgabe zu erfüllen. Sie hatte für Ruhe, Sauberkeit sowie noch etliche andere Dinge im Kino zu sorgen. Da Hans diesen Film schon so oft gesehen hatte und alles im Schlaf erzählen konnte, kam es wie es kommen musste. Er störte durch lautes Reden die Vorstellung, da er alles vorsagte, was als nächstes im Film vorkam. Daraufhin setzte ihn die Platzanweiserin auf die Strasse, was mit einem Tag Kinoverbot verbunden war. Hans traf diese Strafe sehr hart. War der Besuch im Kino das Schönste der ganzen Woche. Das Geld dafür verdiente er sich durch Abwaschen und anderen Haushaltsarbeiten bei seiner Großmutter in der Küche. Frau Pfeffer, die Platzanweiserin, hatte aber auch ihre guten Seiten. Sie gab oft den Sitzplatz, der ihr zustand, an ein Kind ab, das keine Kinokarte abbekommen hatte. Somit machte sie ein Kind glücklich, was sonst nicht einen Film im Kino hätte sehen können. Hans sah den wunderschönen Film „Das Zauberkorn“ noch viele male, ohne dass ihn Frau Pfeffer an die frische Luft hat setzen müssen. Denn ein Kinoverbot wollte er nicht wieder erhalten.

Der Spielplatz

Die Ferien, die nun begannen, waren für die Kinder der Steinstraße und den restlichen Kindern des Ortes die beste Zeit. Da es lange hell war, und man nicht so zeitig nach Hause musste, konnte man viel erleben. In der Steinstraße, wohnten noch fünf andere Kinder. Es waren dies: Werner, Hansi, Bernd und Harald. Dazu kam noch Sieglinde als einziges Mädchen. Nicht das dies die einzigen Kinder der Steinstraße waren, nur wohnten diese Kinder in unmittelbare Nähe von Hans seinem Elternhaus. Es waren daher immer Spielkameraden da, mit denen man rumtollen konnte. Da es keinen Spielplatz gab, mussten Hans und die anderen Kinder in der Anlage vor der Stadtkirche spielen. Dort fanden sich noch andere Kinder der nächsten Umgebung ein, so dass dort immer etwas los war. Das dies nicht immer ohne Lärm vor sich ging, kann man sich sicher vorstellen. Die Anwohner, die dort wohnten, versuchten alles, um das Spielen der Kinder zu verhindern. Das hatte zur Folge, dass die Kinder diese Anwohner noch mehr ärgerten. Durch das Klopfen am Fensterladen, durch klingeln an der Haustür wurde diesen Leuten das Leben zur Hölle gemacht. Hans, der von seinen Großeltern so erzogen wurde, solchen Unfug nicht zu machen, war zwar dabei, doch hielt er sich noch zurück. Er freute sich aber riesig, wenn es wieder mal zu einem Streich gekommen war. Da auf dieser Anlage vor der Stadtkirche ein riesiger Stein mit dem Bildnis Horst Wessels stand, musste und sollte dieses Denkmal entfernt werden. Es war noch ein Überrest der Braunen Zeit in Deutschland. Man versuchte nun diesen Stein mit Hämmer zu zertrümmern. Dies war aber ein nutzloser Versuch. Da ein Abtransport zu teuer war, kam man auf den Gedanken, diesen Stein zu vergraben. Man grub ein tiefes Loch hinter dem Denkmal vor der alten Stadtmauer. Nach einer Woche Arbeit, stürzte man diesen Stein mit dem Bildnis Horst Wessels hinein. Die Stelle ebnete man danach fein säuberlich ein. Da Hans und die anderen Kinder diesen Stein in den Spielen mit einbezogen hatten, war kein Ort mehr vorhanden, wo Hans mit seinen Spielkameraden haschen spielen konnte. Aber sie fanden einen Ausweg. Es machte auch Spaß auf der Alten Stadtmauer herum zuklettern und auf dieser bis zu dem Garten des Malers Rote zu laufen. Man musste nur aufpassen, dass nicht Maler Rote es sah, sonst gab es ein großes Donnerwetter. Der Maler konnte es nämlich nicht mit Ansehen, dass man auf der alten Stadtmauer spielte. Immerhin war die Stadtmauer dort fünf Meter hoch. Es war auch sehr gefährlich dort oben und ein Fehltritt hätte schlimme Folgen haben können. Dies machte Hans und den anderen Kindern aber nichts aus, denn immer wieder liefen sie bis zum Garten von Maler Rote, und warteten dort auf dessen Geschreie.

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