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Am Saaleknick - Teil 2

Die Gruft

An diese Anlage grenzte die Nienburger Stadtkirche an, welche durch einen hohen Eisenzaun gesichert war. Wenn beim Spielen ein Ball über den Zaun flog, musste man drüberklettern und hatte großes Glück, wenn man ohne ein Loch in der Hose wieder zurück kam. In dem Kirchengarten wurde kein Hund gehalten, es war der Zaun, der so gefährlich war, hatte dieser doch scharfe Eisenspitzen. Erst viel später sägte man ein Teil dieser gefährlichen Spitzen ab. In dem Kirchengarten befand sich eine Gruft. Hans hörte die schaurigsten Geschichten über diese Gruft. Es war dies die letzte Ruhestätte der Familie Hallströhm, eine reiche Gutsbesitzerfamilie aus Nienburg. Es gehörte aber als Mutprobe dazu, dass jedes Kind einmal an einem Abend an dieser Gruft gewesen sein musste. Hans hatte, da er schon einen Ball aus dem Kirchengarten geholt hatte, gezeigt, dass er für eine Mutprobe alt genug war. Diese Mutprobe sollte an einem Sonntag stattfinden. Es waren sonntags nicht so viele Leute auf der Straße, um dieses Unternehmen  „ Gruft“ zu stören. Hans konnte vor Aufregung den Rest der Woche bis zum Sonntag kaum schlafen. Als der Abend, wo das Unternehmen starten sollte, da war, hatte er zum ersten Mal ein flaues Gefühl im Magen. Es waren etwa zwölf Kinder dabei, als er einen Ball holen sollte, den ein großer Junge vor dieser Gruft abgelegt hatte. Er nahm nun all seinen Mut zusammen und stieg über den Eisenzaun. Man hatte aber keinen Ball, sondern einen ausgehöhlten Kürbis vor dieser Gruft abgelegt. Der Kürbis hatte im Innern eine Kerze stehen und sah durch Löcher, die man reingeschnitten hatte, wie ein Totenkopf aus. Hans, der ahnungslos die Ecke aufsuchte, wo diese Gruft sich befand, bekam einen sehr großen Schreck, als er dieses Gebilde sah. Sehen und rennen war eins. Mit viel Geschrei kam er an dem Kirchenzaun an. Er dachte nicht mehr an die scharfen Spitzen, die auf dem Zaun waren, als er diesen überstieg. Ein Hosenbein verfing sich an diesen Spitzen und Hans blieb am Zaun hängen. Da seine Spielkameraden schon die Flucht ergriffen hatten, schrie er aus vollem Halse um Hilfe. Ein Anwohner, der diese Hilfeschreie hörte, kam Hans zu Hilfe. Er befreite ihn aus dieser Lage, nicht aber ohne ihm eine Ohrfeige zu geben. Hatte er doch endlich einen seiner vermeintlichen Bösewichte in die Hände bekommen, die ihn so übel mitspielten. Eine Woche Hausarrest war die Folge dieser Mutprobe. Der Anwohner des Platzes machte Hans für den Ärger mit verantwortlich, den er durch die Kinder hatte. Da half alles nichts. Er musste die Strafe antreten und das, obwohl Ferien waren. Als Hans nach einer Woche wieder zum Spielen nach draußen durfte, hatte sich die Aufregung über sein Abenteuer zwar gelegt, aber die Mutprobe hatte er nicht bestanden. Diese legte er erst zwei Jahre nach diesem Abenteuer ab.

Eine Hochzeit

Kurz darauf sollte eine Hochzeit in dieser Stadtkirche stattfinden. Die Kinder von Nienburg sehnten dieses Ereignis schon herbei, vor allem deswegen, weil es sich um den Sohn eines reichen Schlossers handelte. Außerdem besaßen diese Leute noch ein großes Porzellan- und  Spielwarengeschäft. War es doch üblich, dass man bei solchen festlichen Anlässen wie einer Hochzeit, wenn man aus der Kirche trat, Geld unter die reichlich versammelten Kinder warf. Hans war auch unter den Kindern, die sich an der Stadtkirche eingefunden hatten. Wollte er doch auch etwas von diesem Geld bekommen. Unter den Kindern wurden schon Pläne geschmiedet, was man von diesem Geld kaufen könne. Als die Kirchentür sich öffnete und das Brautpaar aus der Kirche trat, stellten sich die Kinder vor das Brautpaar und versperrten diesen den Weg. Nun musste es, um weitergehen zu können, Geld auswerfen. Als der Bräutigam in seine Anzugtasche griff, ging ein Freudenschrei los. Er warf zehn mal Kleingeld unter die Kindern. Die nun damit beschäftigt waren, Geld einzusammeln. Hans hatte an diesem Tag wenig Glück, da nicht nur Pfennige geworfen wurden. Fünfzig Pfennige waren seine Ausbeute aus dem Hochzeitsbrauch das Geld wegzuwerfen. Einige Kinder konnten bis drei Mark ihr eigen nennen. Da dieses Geld in seiner Hosentasche juckte, wie man so schön sagte, musste  Hans dieses Geld auch sofort ausgegeben. Da nur ein Geschäft dafür in Frage kam, begaben sich die Kinder dorthin. „Zum Schundonkel“ wurde dieses Geschäft liebevoll genannt. Nicht das es dort nur minderwertige Waren gab, es war das große Angebot, dass man dort in der Schulgasse vorfand. In Nienburg hatten sowieso viele Einwohnern einen Spitznamen. Obwohl Hans mit fünfzig Pfennig nicht viel Geld in seiner Hosentasche hatte, konnte er sich „Beim Schundonkel“ etwas raussuchen. Er entschloss sich für einen aus Glas hergestellten Spaten, der ihm sehr gut gefiel. Als Hans damit nach Hause kam, war das Gelächter seiner Großeltern sehr groß. Hatte er sich doch einen Mostrichlöffel gekauft. Dies wurde ihm auch noch später oft unter herzhaftem Lachen von seinen Großeltern erzählt.

Hans erstes Fahrrad

Damit die freie Zeit, die Hans nun in den Ferien hatte, auch sinnvoll genutzt wurde, beschloss man, ihm das Fahrrad fahren beizubringen. Zu diesem Zweck hatte sein Großvater ein Rad aus vielen Einzelteilen, die er von den Schuttplätzen der umliegenden Orte besorgt hatte, zusammengebaut. Sein Großvater war sogar bis nach Barby, nur wegen einiger Teile geradelt. Wenn man bedenkt, dass es hin und zurück bis Barby etwas mehr als vierzig Kilometer waren, kann man diese Leistung nur bewundern. Es war ein Damenrad mit Gesundheitslenker und Vollgummirädern, was Hans nun zur Verfügung stand. Als er dieses Rad zum ersten Mal sah, wollte er sich am liebsten überhaupt nicht auf dieses Vehikel setzen. Nur um seinen Großvater, der viel Arbeit mit diesem Rad hatte, nicht zu verärgern, setzte er sich auf dieses Rad. Nach einer Woche üben, hatte Hans so viel erlernt, dass er zwar noch unsicher, aber schon allein Fahrrad fahren konnte. Seine Großeltern verboten ihm aber, größere Strecken mit dem Rad zu unternehmen. Es dauerte aber nicht lange und dieses Verbot war vergessen. Als eine Gruppe Kinder, die mit ihren Rädern in der Steinstraße vorbeifuhren, Hans zu einer Radtour über die Saalebrücke zum Spronewald einluden, schloss er sich dieser Gruppe an. Hans, der noch recht unsicher mitfuhr, konnte trotz seiner wenigen Fahrstunden Anschluss zu dieser Gruppe halten. Jedoch kam es wie es kommen musste. Nach der Saalebrücke auf dem Weg zum Spronewald konnte er eine scharfe Rechtskurve nicht ausfahren und krachte mit seinem Vehikel gegen einen Baum. Hans flog in einem hohen Bogen durch die Luft und landete im Gras. Nachdem er sich aufgerappelt hatte, schaute er nach seinem Rad. Dieses hatte es arg mitgenommen. Die Lampe war abgerissen, der Rahmen hatte einen Knick und die Räder hatten Achten. Nicht das es ihn leid um dieses Rad gewesen wäre, er hatte eher Angst wieder Hausarrest zu bekommen. Das bewog ihn, es heimlich nach Hause zu schaffen. Dort fand man es erst nach den Ferien. Das Donnerwetter fiel dadurch etwas ruhiger aus.

Sein Lebensretter

In der letzten Ferienwoche zog es Hans zur Bode hin. Er hatte dieses Gewässer schon lange nicht mehr besucht. Schon am frühen Morgen machte er sich auf den Weg dahin. Er nahm an diesem Tag nicht einmal am Frühstück teil, das seine Großeltern zum Staunen brachte, war er doch sonst der Erste am Tisch. An der Bode angekommen, machte er noch schnell einen Besuch in der Bodemühle und begrüßte die Müller. Diese freuten sich, hatten sie doch Hans ins Herz geschlossen und ihn eine Zeit lang nicht mehr gesehen. Seine Wegstrecke hatte er sich schon zu Hause festgelegt. Sie sollte über die zweite Brücke führen, danach zum Wehr am Schutz vorbei und an der ersten Brücke enden. Als er an der zweiten Brücke seinen Spaziergang beginnen wollte, sah er am gegenüberliegenden Anglerteich, dass dort ein Angler seine Angel zum Fang ausgeworfen hatte. Hans, auf den Angler genauso eine Anziehungskraft ausübten wie Wasser, besuchte diesen Angler. Dieser Angler war derjenige, der unserem Hans schon einmal das Leben gerettet hatte. Hans konnte es nicht ahnen, wunderte sich nur, dass dieser Angler all seine Fragen beantwortete. War dieser Angler bei Kindern nicht beliebt, da er Kinder immer wieder wegschickte. Das man jedoch verstehen konnte, da er ja Fische fangen wollte und rumtrampeln dort am Anglerteich nicht angebracht war. Hans blieb den ganzen Vormittag bei diesem Angler und erfuhr sehr viel über die Technik des Angelns. Am nächsten Tag trafen sie sich wieder am Deich. Der Angler mit Namen Karl brachte Hans in dieser Zeit das Angeln bei. Hans hatte nun, soviel von der Angelei beigebracht bekommen, dass er seinen ersten Karpfen fangen sollte. Da die Wassertemperatur und auch das Wetter stimmte und sein väterlicher Angelfreund fleißig angefüttert hatte, machte Hans seinen ersten Versuch. Vor einer Krautbank im Anglerteich warf er seinen Köder, eine Kartoffel, in deren Mitte ein großer Haken versteckt war, aus. Er legte seinen Köder auf Grund aus. So musste er nur auf ein Stück Papier achten, dass er in seiner Angelschnur eingehängt hatte. Da er aber keine Ruhe fand, schaute er wohl jede Minute danach. Nach drei Stunden warten, er glaubte schon nicht mehr an einen Biss, hob sich plötzlich dieses Papier und die Schnur fing an auszulaufen. Hans nahm die Rute in die Hand und setzte einen Anhieb. Er hatte Erfolg, der Fisch war am Haken. Das Wasser schien zu kochen und mit einer ungeheuren Kraft versuchte sich dieser Fisch vom Haken zu befreien. Nur durch Ratschläge seines Angellehrmeisters konnte Hans diesen Karpfen überhaupt an der Angel halten. Nach etwa zehn Minuten zeigte sich dieser Riese von Karpfen zum ersten Mal. Nach weiteren fünf Minuten hatten sie es mit vereinten Kräften geschafft, diesen Riesen in ihrem Kescher und danach an Land zu ziehen. Was herrschte da für eine Freude am Wasser, war doch dieser Karpfen an die zehn Pfund schwer. Nachdem sie diesen Riesenfisch gewogen hatten, gaben sie ihm die Freiheit wieder. Nach diesem Fang war Hans in der Gemeinschaft der Petri Jünger aufgenommen. Somit hatten die Ferien einen schönen Abschluss gefunden.

Schulalltag

Der erste Schultag nach den Ferien begann mit einem Fahnenappell. Bei diesem Appell mussten sich die Schüler, nach Klassen geordnet, auf dem Schulhof aufstellen. Nach einer Ansprache durch den Direktor der Roten Schule, durften die Schüler in ihre Klassenräume abrücken. Dieser Appell fand am Anfang und am Ende jeder Woche statt. Waren Schüler in der Woche negativ aufgefallen, so mussten diese am Ende der Woche vortreten und in Anwesenheit aller Schüler erhielten sie einen   Tadel. Hans fand am Anfang dies noch Recht lustig. Nachdem er öfter ein Tadel erhielt, war dies aber nicht mehr so lustig. Den ersten Tadel erhielt er, als er seinem Lehrer ein Zettel mit einer Fratze angeheftet hatte. Dieser Lehrer hatte die Angewohnheit, wenn Schüler den Unterricht nicht aufmerksam folgten, diese Schüler mit Kreide, oder was auch vorkam, mit einem Schlüsselband an den Unterricht zu erinnern. Als Hans einmal dieser Schlüsselbund so sehr am Auge traf, dass ein Doktor sich das Auge ansah, war das Vertrauen zu diesem Lehrer dahin. Seine Großeltern beschwerten sich bei dem Direktor der  Roten Schule über den Schlüsselbundwerfer. Da dies nicht wieder vorkam, hatten sie Erfolg. So hatte das neue Schuljahr nicht sehr gut angefangen. Seine Leistungen in der Schule wurden immer schlechter, da half auch kein Hausarrest mehr. Lag es nun am Lehrer oder an der Faulheit von Hans? Jedenfalls musste Hans am Nachhilfeunterricht teilnehmen. Dieser Unterricht fand am Nachmittag nach dem Schulunterricht statt. Wenn andere Kinder schon spielten, musste Hans noch einmal seinen Hosenboden auf der Schulbank drücken.  Da Schnee gefallen war, tobten viele Kinder mit ihren Schlitten an den Hügeln bei Hinnemitz seinen Wiesen. Diese Hügel waren nicht weit von der Schule entfernt. Dort stand auch ein riesiges Denkmal, welches den Soldaten des ersten Krieges gewidmet war, die in der Fremde gefallen sind. Da Hans nach dem Nachhilfeunterricht, den Rest des Tages zu Hause verbringen musste, um seine Leistungen zu verbessern, machte er sich dieses mal gleich nach dem Nachhilfeunterricht auf den Weg dorthin. Da er keinen Schlitten hatte, sah er sich dieses bunte Treiben erst einmal an. Viele Kinder fuhren mit ihren Käsehippen, das waren einsitzige Schlitten, welche eine Holzlehne hatten, diesen Hügel herunter. Es dauerte nicht lange und Hans hatte die Idee, wie er auch ohne Schlitten rodeln konnte. Er nahm seinen Schulranzen, setzte sich darauf und hatte somit einen ausgezeichneten Schlitten. Nach mehrmaligen Abfahrten schien dies seinem Ranzen nicht mehr zu gefallen. Es lösten sich am Ranzen die Nähte auf, und seine Schulbücher lagen verstreut auf der Rodelbahn. Was das für eine „Freude“ war, als Hans nach Hause kam, kann man sich sicher vorstellen. Seine Großmutter schlug die Hände über den Kopf zusammen, als sie den Schulranzen sah. Sie hatte den Rest des Tages damit zu tun, den Ranzen zu nähen. Hans versprach hoch und heilig, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Hans hatte das Gefühl, dass seine Großeltern über diesen Streich ein wenig an Ihre Jugend erinnert wurden. Sonst hätte er sicherlich wieder einige Tage Stubenarrest für diesen Streich erhalten.

Die Schlittenfahrt

 Es war in Nienburg Brauch, wenn es Neuschnee gab, dass die Bauern mit ihren Pferdeschlitten durch den Ort zogen. Alle Kinder freuten sich darauf, konnte man, wenn man Glück hatte seinen Schlitten bei Bauern Neubert mit anhängen. Dies hatte natürlich auch seine Schattenseiten. War die Schlange der Schlitten zu lang und der Kutscher der Pferde nahm eine Kurve zu schnell, so kippten die letzten Schlitten um. Das war natürlich mit ständigem Johlen und sehr viel Spaß verbunden. Da der Bauer Neubert nur Kinder, die schon etwas größer waren, an der Schlittenpartie teilnehmen lies, kam es nicht zu schweren Unfällen. Bauer Neubert machte sich besonders bei den Kindern beliebt. Man wartete schon, bis dieser mit seinem großen Pferdeschlitten erschien. Hans, der mit einem Sohn des Bauern Neubert in eine Klasse ging, bekam jedes Mal einen Platz bei diesen Fahrten durch das verschneite Nienburg. Die anderen Bauern sahen davon ab, Kinder an diesem Spaß teilnehmen zu lassen. Ob es nur aus Stolz war, konnte man nicht sagen.

Der Eisunfall

 Da Nienburg von Wasser umgeben ist und die Kinder immer dort am liebsten spielten, wo sie nicht spielen sollten, kam es immer wieder im Winter zu Unfällen.  Hans zogen solche Plätze, die sehr gefährlich waren, förmlich an. An einem schönen Wintertag wäre es bald zu einem Eisunfall gekommen. Hans hielt sich mit mehreren Kindern aus Nienburg auf einer Eisfläche der Saale, in der Nähe des Zusammenflusses mit der Bode auf. Sie fütterten dort Wildenten, die sich in einem Eisloch versammelt hatten. Die Saale war an dieser Stelle noch nicht fest genug zugefroren als er einbrach. Nur durch das Eingreifen eines Saaleschiffers  konnte er gerettet werden. Pudelnass brachte man ihn nach Hause. Seine Großeltern waren froh, ihn gesund und heil wieder in die Arme schließen zu können. Sie hatten wieder einmal einen richtigen Schreck davongetragen durch seinen Leichtsinn. Das dieser versprach so etwas nicht wieder zu machen, beruhigte sie aber nur halb. Zu oft vergaß Hans solch ein Versprechen, das er seinen Großeltern gab. Besonders im Winter schien es so, als ob sich die Krähen der ganzen Region in Nienburg versammelt hätten. Zu ihrem Versammlungsort hatten sich die Tiere die Schlosskirche ausgesucht. Schon am frühen Morgen kamen sie mit lautem Krächzen dort zusammen.  Glück hatte derjenige, der vom Kot dieser wohl an die Tausend gehender Schar Vögel nicht getroffen wurde. Diese Tiere flogen am frühen Morgen sehr flach über Nienburg, sammelten sich auf der Schlosskirche um danach die Felder und Müllkippen nach etwas Fressbarem abzusuchen. Man sagte in Nienburg, da sich die Krähen nur auf der Schlosskirche versammelten, scherzhaft, es wären des Pfarrers Tauben. Da es in Nienburg schon immer sehr viele Krähen gab, hatten die Nienburger ihren Spitznamen schon vor sehr langer Zeit bekommen. Man nannte sie einfach respektlos „Krähenköppe“. Wurde nun ein Nienburger außerhalb seines Ortes angetroffen und man erkannte ihn an seinem Dialekt, so sagte man nicht einfach Nienburger zu ihm, nein, man sprach von einem „Krähenkopf“. Diesen Dialekt sprach man nur in Nienburg, selbst in der nur neun Kilometer entfernten Stadt Calbe sprach man diesen nicht mehr. Hans, der alles so schrieb wie er es sprach, hatte dadurch sehr viele Rechtschreibfehler. Doch nicht nur Hans hatte damit Probleme. Als er einmal die Schule wegen Krankheit nicht besuchen konnte, lieh er sich vom Schulkamerad Peter ein Heft aus, um den Unterrichtsstoff nachzuholen. Hans Großeltern, besonders sein Großvater lachte herzhaft, als er einen Satz fast nicht entschlüsseln konnte. Stand doch dort: „Holne Jawell for miche fon Ponn“. (Hole mir die Heugabel vom Boden.) Peter hatte von nun an seinen Spitznamen beim Großvater weg. Er nannte ihn ab diesem Zeitpunkt nur noch Herr Professor, wenn er zum Spielen Hans  besuchte.

 Der Weg zur Achenkippe

Durch den Winter bedingt und durch das viele Heizen, war sehr viel Asche angefallen. Nun war man gezwungen diese zu entsorgen. Es wurde der Handwagen aus dem Schuppen gezogen, noch einmal gründlich überholt, denn der Weg, der zur Aschenkippe führte, war über vier Kilometer lang und lag zwischen Nienburg und Neugattersleben. Es war eine alte Sandgrube, die man mit Asche und anderem Unrat auffüllte. Dieser weite Weg war nötig geworden, als man Verbot, die Asche im Steinbruch des Zementwerkes abzukippen. Nach dem Beladen des Handwagens, was meist an einem Wochenende geschah, zog man los. Im Ort selbst war der Weg noch flach. Das änderte sich, als man Nienburg verließ. Es ging danach nur noch bergauf. Wenn man Glück hatte und ein Pferdefuhrwerk, das den Weg zu den Äckern eines Bauern nahm, vor sich hatte, konnte man sich daran festhalten. Dieses Glück hatte man aber höchst selten. Hans musste also tüchtig schieben helfen, um dem Berg dort hinaufzukommen. War sein Wagen doch diesmal besonders voll beladen. An der Aschenkippe angekommen und völlig aus der Puste, war Hans froh, dass er es geschafft hatte. Nun schaute sich Hans erst einmal auf der Aschenkippe um. Er konnte sich von den alten Sachen, die dort herumlagen, kaum trennen. Am liebsten hätte er eine Wagenladung dieser alten Sachen, die dort herumlagen, mit nach Hause genommen. Nur weil sein Großvater etwas dagegen hatte, konnte er nichts mitnehmen. Hans machte später diese Fahrten allein, wobei der Handwagen nicht mehr leer zu Hause ankam. Als Hans bei einer dieser Entsorgungsfahrten die Stange des Handwagens abbrach, lies ihn sein Großvater nicht mehr mit dem Wagen allein fahren. Dieses Missgeschick kam folgendermaßen zustande. Hans hatte, da es nur bergab ging, im Handwagen Platz genommen, die Wagenstange zum Lenken zwischen die Beine geklemmt und war losgefahren.  Da der Handwagen bei der Abfahrt am Berg immer schneller wurde, bekam er es mit der Angst zu tun. Er lenkte den Wagen in den Straßengraben, wobei die Wagenstange zu Bruch ging. Da sein Schutzengel ihn noch nicht verlassen hatte, kam er mit ein paar blauen Flecken davon. Zu Hause war man froh, dass nichts Schlimmeres passiert war. Auch traf man Willi bei dieser Arbeit an. Er verdiente sich durch eine Wagenladung Asche zum Schuttplatz seine Zigaretten, die er für den Tag so brauchte.

Willi

Willi, ein Original, so möchte man sagen, wenn es etwas zu diesen liebem Kerl zu berichten gäbe. Da er sehr beliebt war, hatten ihn viele Kinder in ihr Herz geschlossen. Da es Hans genauso erging, muss über diesen guten Menschen hier berichtet werden. Willi hatte ein großartiges Gedächtnis. Erkannte er doch Leute wieder, die er schon viele Jahre nicht in Nienburg gesehen hatte. Er hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, am Bahnhof, wenn ein Zug einfuhr, den Reisenden ihre Koffer nach Hause zu tragen. Er erhielt Zigaretten und verdiente sich ein wenig Trinkgeld durch diese Arbeit. Doch man durfte nicht den Fehler machen, ihm schon dieses Trinkgeld im Voraus zu geben. Er setzte sonst nach ein paar Schritten den Koffer ab, um nach neuen Opfern auszuschauen. Da er sich auch durch Blumen austragen etwas Geld dazu verdiente, sah man ihn oft, mit einem Blumenstrauß und langen Schritten durch Nienburg gehen. Am meisten jedoch schien es ihm Spaß zu machen, wenn im Ort etwas los war. Wenn eine Kapelle spielte, setzte er sich vor dieser an die Spitze und gab so den Ton an. Er war ein Kettenraucher und suchte sich immer ein Opfer aus, dass er anschnorren konnte. Er rauchte aber nicht auf Lunge, sondern war ein sogenannter Backenraucher. Auch warf er seine Zigarette meist nach einigen Zügen fort. Man wartete aber schon darauf, dass er einen anschnorrte und hatte zu diesem Zweck extra eine Schachtel Zigaretten dabei. Eines Tages, als er mit seinem Fahrrad auf der linken Seite fuhr und ein Polizist ihn zur Rede stellte, sagte er ganz trocken, dass in England, alle links fahren. Willi hatte Hans einmal einen Streich gespielt. Zu jener Zeit, kippte man Kohle, wenn man diese erhielt, einfach auf der Straße ab. Nun mussten diese Kohlen, da sie den Bürgersteig blockierten, so schnell wie möglich reingetragen werden. Als der kleine Schuhladen Lappe gegenüber von Hans Elternhauses einmal Kohlen bekam, bot sich Willi an, diese Arbeit zu verrichten. Nach etwa der Hälfte Kohletragens, lies er sich unter dem Vorwand Zigaretten zu kaufen, einen Vorschuss geben. Mit langen Schritten entfernte er sich und wurde nicht mehr gesehen. Den Rest der Kohlen trug Hans herein, handelte es sich doch um ältere Leute, denen es schwergefallen wäre, Kohlen reinzutragen. Koffer und Blumen austragen machten Willi sicherlich mehr Spaß. Auch einer Kapelle voranzuschreiten war eine feine Sache. Willi war fürs Kohle reintragen nicht so recht geeignet.

Der Igelvater

War Willi eine Person in Nienburg, den die Kinder sehr lieb hatten, gab es ein anderes Original, mit denen sie nur Schabernack trieben. Dieses Original war ein kleiner Mann mit Stoppelhaaren, den die Kriegsereignisse nach Nienburg geführt hatten. Wo er genau herkam, war nicht in Erfahrung zu bringen. Er war eines Tages einfach da. Dieser kleine Mann lief normalerweise nur auf der Fahrbahn. Den Bürgersteig betrat er fast nie, wenn überhaupt dann nur, um hinter den Kindern herzulaufen, die ihn geärgert hatten. Mit seinen Einmeterfünfzig und den viel zu großen Gummistiefeln, die er immer trug, nannten ihn die Kinder Igelvater. Mit dazu beigetragen hatte auch sein Bürstenschnitt der Haare. Lief nun dieser Mann mit seinen viel zu großen Stiefeln durch Nienburg und die Kinder sahen ihn, riefen sie in einem fort  „Igelvater, Igelvater fang mich doch“. Da sein Weg auch durch die Steinstraße führte, wartete Hans mit den anderen Kindern schon auf sein Erscheinen. Es kam nicht allzu oft vor, dass Sie Gelegenheit hatten den Igelvater zu rufen. Deshalb freuten sich die Kinder, als der Igelvater in der Steinstraße erschien. Hans, den Igelvater sehen, und schon aus vollem Halse rufen, war eins. Dieses mal hatte Hans sich verrechnet, der Igelvater war schon zu nahe heran. Hans erreichte zwar die rettende Haustür, konnte sie aber nicht zusperren. Da gab es nur noch eine Tür, die man verriegeln konnte, und das war die Toilette auf dem Hof. Hans erreichte sie in letzter Minute und konnte die Tür gerade noch verschließen. Was dann folgte war ein Rütteln an der Tür, mit einem Geschrei, was seines gleichen suchte. Hans bekam es mit der Angst in seinem kleinen Häuschen und bangte um sein Leben. Sein Großvater, der durch das Geschrei im Hof nach draußen eilte, kam Hans zur Hilfe. Der Igelvater der vor der Toilette stand beruhigte sich nur sehr langsam. Es war eine halbe Stunde Überzeugungsarbeit nötig, bis der Igelvater das Rütteln und Schreien an der Toilettentür einstellte. Auch danach dauerte es noch eine Weile, bis der Igelvater das Haus wieder verlassen hatte.  Es war sicher eine Stunde, in der Hans sein selbst gewähltes Örtchen nicht verlassen konnte. Es folgte eine Strafrede und Hans musste sich beim Igelvater entschuldigen. Rufe nach dem Igelvater machte Hans  nicht mehr mit, Hans war geheilt.

Am silbernen Anker

Eine Kneipe mit Namen „SILBERNER ANKER“ war im Nachbarhaus von Hans untergebracht. Hans hatte somit keinen langen Weg, um Limonade für sich und seine Großmutter, sowie Bier für seinen Großvater einzukaufen. Die Wirtsleute waren ein Ehepaar in den besten Jahren. Da der Wirt Walter gern mal einen Schnaps trank, und dies nur heimlich tun konnte, wartete er bis seine Frau Olga einem Gast, der nur Flaschenbier kaufte, diesen es holte. Der Raum, wo sich die Kästen mit Bier und Limonade befand, war außer Sichtweite des Gästeraumes. War nun seine Frau außer Sichtweite, kippte er sich einen hinter die Binde. Sein Stammplatz war ein Sofa, an deren Wand viele Geweihe von Rehen und Hirschen hingen. Er verließ dieses Sofa nur ungern, wenn überhaupt dann nur, um sich einen Schnaps einzugießen. Bekam nun seine Frau dies mit, hielt sie ihm eine Strafpredigt und er musste die Kneipe verlassen. Seine Frau hatte die Hosen an im „SILBERNER ANKER“. Sie führte diese Kneipe mit fester Hand. Da aber nur Stammgäste Schnaps und Bier erhielten, war der Besuch auf wenige Gäste beschränkt. Fand, was selten einmal vorkam, ein neuer Gast den Weg zum   „ SILBERNER ANKER“, ging dieser Gast sicher zur Freude seiner Frau, mit durstiger Kehle wieder nach Hause. Ihren Umsatz machten diese braven Wirtsleute mit dem Straßenverkauf. Der Wirt hatte eine Arbeit im Straßenbau und beide hatten somit ein gutes Auskommen. Jeden Montag kam ein Bierauto und brachte Nachschub für die Kneipe. Dieses Auto war etwas besonderes, wurde es doch mit Holzgas angetrieben. Es hatte einen sogenannten Holzvergaser. Oft kam es vor, dass es nicht gleich losfahren konnte, da erst Holz nachgelegt werden musste. Dies war mit einem Rütteln, Schnaufen und Krachen verbunden, so dass Hans immer Reißaus nahm, wenn dieses Auto erschien. Man musste ja befürchten, dass es jeden Augenblick in die Luft fliegen könnte. Der Holzvergaser war etwa zwei Meter hoch, sah aus wie ein kleines Silo und war hinter dem Fahrerhaus aufgebaut. Der Fahrer war somit auch ein Heizer auf Rädern. Am Himmelfahrtstag war immer etwas los in der Gaststätte. Es kamen Kutschen, Gespanne und manchmal auch Reiter auf Pferden um nachzutanken und zwar Bier und Schnaps. Auch die Wirtin zeigte sich an diesem Tag von ihrer besten Seite. Da ein Musikant auf diesen Himmelfahrtskutschen dabei war und der Wirt einen Schnaps kostenlos mit abbekam, war für Stimmung gesorgt.  Da der silberne Anker, den man am Haus angebracht hatte, etwas rostig war, nannte man diese Kneipe auch respektlos zum „ROSTIGEN ANKER“.

Die Glockenweihe

Die Schlosskirche von Nienburg sollte neue Glocken bekommen. Die alten Glocken hatte man für den ersten Weltkrieg gebraucht. Nienburg tauschte damals seine Glocken gegen ein Soldatendenkmal ein. Die Kirchengemeinde hatte fleißig gesammelt und mit Unterstützung der Hauptkirche war es soweit. An einem Sonntag war halb Nienburg auf den Beinen, um den Glockeneinzug mitzuerleben und sich dieses Schauspiel nicht entgehen zu lassen. Als der festlich geschmückte Wagen am Ortsrand erschien, begleitete man diesen bis zur Schlosskirche. Man war beeindruckt von der Größe dieser Glocken. Viele Zuschauer sahen solche große Glocken zum ersten Mal. An der Schlosskirche stellte man diese Glocken in ein extra dafür gebauten Schuppen neben der Kirche ab. Da der Einbau dieser Glocken im Glockenstuhl der Schlosskirche, noch etwas Zeit beanspruchte, war die Einweihungsfeier dieser Glocken noch nicht festgelegt. Auch Hans war mit seinen Großeltern bei diesem Ereignis dabei, und freute sich riesig, dass nun Nienburg wieder neue Glocken erhalten sollte. Die Rote Schule war in unmittelbarer Nähe der Schlosskirche. Hans sah von seinem Klassenzimmer aus, wie man Glocke für Glocke in die Höhe zog. Als die Arbeiten soweit abgeschlossen waren, dass man sagen konnte, wann die Weihe dieser Glocken sein sollte, wartete man mit Spannung darauf. Eine Woche zuvor trat etwas ein, womit keiner gerechnet hatte. Dazu dieser Zeit, bedingt durch Lehrermangel, oft eine Stunde ausfiel, schickte man die Klasse von Hans eher nach Hause. Zu Hause noch nicht erwartet, hatte man eine Stunde Zeit zum Spielen auf der Straße. Hans und noch ein paar Schüler seiner Klasse machten sich auf den Weg, um am Soldatendenkmal Haschen zu spielen. Da sie dabei an der Schlosskirche vorbeikamen und die Tür unverschlossen vorfanden, wollten sie mal nach den neuen Glocken sehen. Dazu mussten sie einige Treppen hoch steigen. Der Raum zu den Glocken war aber versperrt. Sie fanden nur einen Raum unterhalb der Glocken vor, wo dicke Stricke herabhingen. Wer nun auf den Gedanken kam, die Glocken zu läuten, konnte nicht geklärt werden. Hans und seine Mitschüler nahmen nun jeder einen Strick und zogen aus vollen Kräften daran. Als sich diese großen Glocken in Schwung setzten, gerieten Hans und seine Schulkameraden in Panik. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließen sie die Kirche. Das Geläut hielt noch eine Weile an, obwohl Hans und seine Spießgesellen Herbert und Heinz sich längst am Soldatendenkmal versteckt hatten. Pfarrer Kochs Nachforschungen verliefen erfolgreich und am Abend stand dieser vor der  Tür seiner Großeltern. Eine kleine Predigt musste Hans sich schon anhören, und die Schlosskirche erstrahlte nach der Strafe, für das Glockenläuten,  in einen neuen Glanz. Durch diesen Kinderstreich fand die Glockenweihe eine Woche früher als geplant statt.

Das Hochwasser

In den Fünfziger Jahren gab es ein Hochwasser, was wohl das schlimmste war, was man je in Nienburg erlebt hatte. Die Saale und Bode führten soviel Wasser, dass es über die Ufer trat. Viele im Ort, die entlang der Saale und Bode ein Haus oder einen Garten ihr  eigen nannten, waren in Angst um ihr Hab und Gut. Und da der Wettergott kein Erbarmen hatte, regnete es noch wie aus Gießkannen. Die Nienburger Einwohner, im vom Hochwasser bedrohtem Gebiet, waren damit beschäftigt, ihre Sachen in Sicherheit zu bringen. Man half den Nachbarn, Sachen zu packen, um diese ins Trockene zu bringen. Es herrschte eine Hilfsbereitschaft, wie man sie nur in einer Notlage erleben kann. Der Wasserstand wurde an einer Meßlatte, die sich an der Bodebrücke befand, optisch dargestellt. Man beobachtete nun unablässig diese Meßlatte. Das Wasser stieg unaufhaltsam und hatte die Meßlatte nach einigen Tagen überflutet. Da der Ort Nienburg hochwassersicher von seinen Urahnen angelegt war, hatten nur wenige Häuser mit einer Überflutung zu rechnen. Es war dies der untere Bereich der Bode, mit den Häusern der Bodereihe und des Entenschnurzes. Auch die zwei Werften waren stark gefährdet. Danach folgte die Brückenstraße und der Jürgensberg. Man war sich selbst in der Schlossstraße noch nicht sicher und bangte um seine Habseligkeiten. Dieses Hochwasser stand nach wenigen Tagen bis an den Vorplatz der Gelben Schule. Man bekam noch nasse Füße, wenn man die Turnhalle aufsuchte die etwas abseits der Schule stand. Hans war von Anfang an bei diesem Ereignis dabei. Er erlebte wie das Wasser die Straße zur Gelben Schule rauf kam und nicht zu stoppen war. Die Nienburger Feuerwehr war Tag und Nacht im Einsatz, um zu retten, was zu retten ging. Am schlimmsten traf es die Tiere. Es trieben Tiere, die in der Saale oder Bode ertrunken waren, an Nienburg vorbei. Diese Tiere hatte man nicht rechtzeitig in anderen Orten entlang der Saale und Bode in Sicherheit bringen können. Es war ja nicht nur Nienburg vom Hochwasser betroffen. Es traf noch viele andere Orte entlang der Flüsse Saale und Bode, die unter diesem Jahrhunderthochwasser litten. Am traurigsten für Hans war ein Erlebnis mit einem kleinen Hund. Dieser kleine Hund kam in den reißenden Fluten an seiner Hundehütte angekettet schaurig heulend daher geschwommen. Und da man, um sich nicht Selbst zu gefährden, diesen Hund nicht an Land zog, ist sein Schicksal unbekannt. Als das Hochwasser langsam zurückging, hatte man in Nienburg noch über Jahre an den Folgen dieses Hochwassers zu leiden. Allmählich kehrte die gewohnte Normalität in Nienburg ein.

Neue Streiche

Die Schulklasse von Hans und seinen Mitschülern hatte einen neuen Lehrer erhalten. Dies wurde von den Schülern, da er ein hervorragender Lehrer war, bestens aufgenommen. Einige Rabauken mussten die Schule verlassen und in Bernburg eine Sonderschule besuchen. Dieser Lehrerwechsel fand statt, als Hans in die vierte Schulklasse kam. Dies machte sich positiv bemerkbar, Hans`s Leistungen verbesserten sich erheblich und seine Großeltern waren sehr zufrieden mit ihn. Er ging wieder mit Freude zur Schule, was sich auch daran zeigte, dass er wieder zu Streichen aufgelegt war. Nach der Schule und den Hausaufgaben ging er zum Spielen sofort auf die Straße. Es gab in der Nachkriegszeit ja fast keine Autos, die  dort fuhren. In ihrer Straße konnte man noch „Kreiseln“, sowie „Meister gib uns Arbeit auf“ spielen. Aber der Platz an der Stadtkirche war und blieb der beste Spielplatz. Dieser Platz hatte einen neuen Namen erhalten, man hatte ihn auf den Namen „Friedrich Engels Platz“ getauft. Die Streiche gegen die Anwohner des Platzes hatten nicht nachgelassen. Nur Hans, der sich sonst rausgehalten hatte, beteiligte sich mit daran. Er hatte die Ohrfeige, die er bei seiner Mutprobe erhalten hatte, noch nicht vergessen. Diese armen Menschen mussten viel ertragen. Waren eine Horde Kinder immer nur darauf erpicht, ihnen einen Streich zu spielen.  Hans, der zu Hause beim Aufräumen auf Wagenfett gestoßen war, nahm etwas davon mit zum Platz. Als nun die Anwohner beim Einkaufen waren, wurde das Unterteil der Haustürklinke mit diesem Fett eingestrichen. Was danach geschah, als diese Leute nach Hause kamen, konnte man sich denken. Auch war dieser Platz, da er einen hohen Bestand an Sträuchern hatte, bestens geeignet noch anderen Nienburgern einen Streich zu spielen. Hans band dazu eine alte Geldbörse mit einer dünnen Schnur fest. Er legte diese Geldbörse mitten auf den Weg, der durch die Anlage führte und versteckte sich hinter den Sträuchern nahe des Weges. Als nun ein Mann oder eine Frau, sich erst nach rechts und nach links umschauend, nach dieser Geldbörse bückte, zog Hans diese schnell fort. Man stelle sich mal das Gesicht dieser Leute vor, als die Geldbörse weg war. Man musste bei diesem Streich sehr schnell weglaufen können. Denn wenn die Nienburger dahinter kamen, was mit ihnen gespielt wurde, half nur die schnelle Flucht vor einer Strafe. So verging die Zeit mit allerlei Streichen und Spielerein in der Anlage vor der Stadtkirche.

Das Nest in der Sprone

 In dem Spronewald bei Nienburg hatte zu jener Zeit kurz nach Kriegsende einer der seltenen Raubvögel Deutschlands sein Revier. Es war ein Rotes Milan- oder auch Gabelweihepaar wie man sie noch nannte, die dort im Spronewald einen Horst errichtet hatten. Diese Vögel wurden nun von einigen Kindern beobachtet. Aber nicht um sie zu schützen, wie man annehmen konnte. Nein, man wollte einen Raubvogel, um ihn abzurichten. Man stellte sich vor, mit Raubvögeln auf die Jagd zu gehen. Unter diesen Kindern war natürlich auch Hans. Er hatte dafür auf dem Hausboden extra eine Holzkiste zurecht gezimmert, wo er einen dieser Raubvögel aufnehmen wollte. Krähen sollten als Futter dienen, die es in den Wäldern um Nienburg herum ja genug gab. Es war aber noch nicht die Zeit dafür. Die kleinen jungen Gabelweihen hatten sich noch nicht am Nestrand gezeigt. Nach einer endlosen Zeit des Wartens war es endlich soweit. Man sprach sich ab und nach der Schule sollte das „Unternehmen Milan“ gestartet werden. Es waren nur wenige Kinder, die von diesem Unternehmen etwas wussten. Nur Hans, Kinke, sowie noch einige Freunde wussten davon und hatten hoch und heilig versprochen, keinem etwas davon zu erzählen. Unter diesen Freunden war ein Zwillingspaar, diese hatten den Spitznamen Kollienge, was auf gut deutsch Spatzen bedeutet. Diese hatten den Namen Kollienge erhalten, weil sie sich einmal Spatzen aus einem Nest besorgt hatten. Diese zwei waren die Mutigsten unter den Kindern und sollten auf den Baum steigen und die Vögel herunterholen. Es waren drei junge Raubvögel, die man seinen Eltern entriss. Unter der Jacke versteckt, brachte Hans einen dieser Raubvögel nach Hause. Sein Großvater fiel aus allen Wolken, als er Hans und sein neues Haustier sah. Er beauftragte Hans, diesen Vogel sofort aus dem Haus zu entfernen. Da Hans seinen Großvater kannte, war in dieser Sache nichts mehr zu machen. Er brachte diesen Vogel zu seinem Lehrer, da er nicht wusste, wo er damit hin sollte. Der Lehrer benachrichtigte den Tierpark in Bernburg und das Unheil nahm seinen Lauf. Da rauskam, dass noch andere Vögel im Besitz von Kindern waren, holte man diese Vögel von den Kindern weg. Das dies nicht ohne Aufregung in Nienburg ablief, war zu erwarten. Kinke, oder besser Karl-Willi, der es Hans übel nahm, weil er ihn verraten hatte, sprach eine Woche lang kein Wort mit Hans.  Für Kinke und Hans hätte dieses Unternehmen beinah in einem Jugendheim geendet. Es war die Überredungskunst seiner Großeltern und der Umstand, dass alle Raubvögel am Leben geblieben waren, zu danken, das Hans und die anderen Übeltäter dort nicht hinkamen.

Das Schlauchboot

Es war ein erfreuliches Wiedersehen, als Hans seinen Lebensretter und Angellehrmeister wieder traf. Hatte doch dieser eine schwere Krankheit gerade gut überstanden. Da Angeln das Wichtigste war, worüber sie sich unterhielten, machten sie gleich einen Termin für eine Angelpartie aus. Hans und Karl beratschlagten noch eine Weile, wo geangelt werden sollte. Hans war für den Kuhhecht oder die Feldlache. Auch das Sproneloch wäre nicht schlecht zum Beangeln. Das waren herrliche Angelgewässer rund um Nienburg. Karl aber schlug den alten Steinbruch vor, da er sich mit einem alten Angelfreund  dort  treffen wollte. Man war sich einig und Karl holte seinen jungen Freund am darauf folgenden Sonntag in der Steinstraße ab. Auf dem Weg zum alten Steinbruch erzählte Karl, warum es dorthin gehen sollte. Der andere Angler hatte sich ein neues Schlauchboot gekauft, und heute sollte es zum ersten Mal ausprobiert werden. Das sich dieser Sportsfreund einen guten Fang versprach, da er ja nun Stellen erreichte, wo man normal mit seiner Angel nicht hin kam, sei nur am Rande erwähnt. Dieser Sportfreund war ein Schmied von Beruf. Da ein Pferd ein Eisen am Huf verloren hatte ,und er es in Ordnung bringen musste, war er noch nicht am Gewässer eingetroffen. Also suchten sich Hans und auch Karl schon mal einen stillen Fleck, wo man Fische vermuten konnte. Nach einer Stunde kam unser Schmied mit seinem neuen Schlauchboot. Da er in Eile war, grüßte er nur kurz und pumpte hastig sein Boot auf. Er trug es zum Wasser und machte den ersten Fahrversuch mit dem Schlauchboot. Mag es am Material oder am Ungeschick des Schmiedes gelegen haben, jedenfalls ging mitten im Steinbruch diesem verflixten Ding die Luft aus. Kräftig und um Hilfe schreiend versuchte unser Schmied das rettende Ufer zu erreichen. Vorbei war sein Traum einen großen Hecht zu fangen. Was blieb, waren nasse Hosen und der Verlust der Angelausrüstung. Seit dieser Zeit sah man unseren Schmied nur noch selten auf Angeltour, erst recht nicht mit dem Schlauchboot. Es wurde hoch und heilig versprochen, von diesem Vorfall keinem zu erzählen. Es dauerte aber keine zehn Tage und man lachte vor Schadenfreude im ganzen Ort. Wobei Hans daran ganz sicher die Hauptschuld trug.

Ein Badeunfall

Da die Wasserverschmutzung der Bode und Saale immer mehr zunahm, war man gezwungen, die Badeanstalt in der Saale zu schließen. Hans traf sich mit zwei seiner besten Freunde, um zum Abschied diese Badeanstalt noch einmal zu besuchen. Vor der Saalebrücke kauften sie sich noch schnell ein Eis. Es war das beste Eis, was man weit und breit erhalten konnte. Selbst aus den umliegenden Orten Wedlitz, Latdorf und Grimmschleben kamen die Leute und holten diese leckere  Kostbarkeit von dort. Gleich neben einer großen Wasserpumpe, wo man von Hand Wasser aus der Erde holen konnte, war diese Eisdiele. Die Eismaschine war wunderbar anzuschauen. Eine bunte Scheibe drehte sich immerfort im Kreise, so richtig nach dem Geschmack der Kinder. Da es an diesem Tag sehr heiß war, und es bis zum Saaleknick, wo dieses Bad seinen Standort hatte, noch weit war, beschloss man, nach der Saalebrücke sich erst einmal abzukühlen. An dem Saaleufer, wo Hans und seine zwei Freunde baden wollten, stand ein Kettenbagger, der bei dem Durchstich der Saale mithalf. Das Saalewasser war an dieser Stelle sehr flach, so glaubten sie. Hatten sie doch schön öfters dort ein Bad genommen. Man wollte zur gleichen Zeit im Wasser eintauchen. Zu diesem Zweck fasste man sich an den Händen, nahm einen Anlauf und rannte ins Saalewasser hinein. Es war aber dieses mal nicht so, dass ihnen das Saalewasser nur bis zum Bauch reichte. Nach etwa fünf Metern hatten sie keinen festen Grund mehr unter ihren Füßen. Hans schwamm zum Ufer zurück. Einer seiner Freunde erreichten durch Hundepaddeln und Wasserschlucken den Kettenbagger. Er hielt sich an einer Kette fest und rief laut um Hilfe. Schnell herbeieilende Schiffer versuchten nun den dritten Jungen, der schon unter Wasser war, zu retten. Nach einer schier endlosen Zeit fand man den Jungen. Sie brachten ihn ans Ufer und begannen sofort mit den Wiederbelebungsversuchen. Trotz ihrer großen Bemühungen war keine Rettung des Jungen mehr möglich. Hans und sein Freund, die Glück im Unglück hatten, erzählten unter Schock, wie es zu diesem Unglück kam. Nach einem kurzen Aufenthalt im Krankenhaus, entließ man den geretteten Jungen, der viel Wasser geschluckt hatte, nach Hause. Hans hatte aus diesem Unfall gelernt, dass man auch an einem bekannten Gewässer vorsichtig sein müsse. Zu schnell kann sich dort im Wasser etwas ändern, womit man nicht rechnen kann. Dieses Unglück brachte viel Leid über die Mutter. Da ihr Mann gefallen war, hatte sie auch noch ihren einzigen Sohn verloren. Selbst nach vielen Jahren traf man sie noch in Trauersachen an.

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